Sein letzter Fall - Fallet G
musste sich eingestehen, dass es sein größter Wunsch gewesen wäre, sich noch für ein Weilchen hinzulegen.
Gab es eigentlich irgendeine Vorschrift, die verbot, dass man ein Bett in seinem Büro hatte?
»Ja, also, da ist dieser Vorfall in Linden«, sagte Hiller und goss Wasser in einen Krug mit gelben Gerbera. »Ich denke, wir müssen hinfahren und uns das mal anschauen.«
»Worum handelt es sich?«, fragte Van Veeteren und schaute sich dabei die Pflanzen des Polizeipräsidenten an. Er schätzte sie so auf die dreißig Stück: vor dem großen Panoramafenster, auf dem Schreibtisch, auf einem kleinen Ecktisch und auf den Bücherregalen. Entwickelt sich langsam zu einer Sucht, dachte er. Die Anzeichen sprechen für sich. Rosen zu züchten, das war ein Ersatz für Leidenschaft, hatte er irgendwo einmal gelesen, aber Hillers Züchtungen in seinem Dienstraum im fünften Stock der Polizeiwache waren von deutlich wechselnder Natur. Van Veeterens botanische Kenntnisse waren begrenzt, aber er meinte dennoch, eine Aspidistra zu erkennen, eine Hortensie und eine Yuccapalme.
Und die Gerbera, wie gesagt. Der Polizeipräsident stellte die Gießkanne weg.
»Eine tote Frau«, erklärte er. »Auf dem Boden eines Swimmingpools.«
»Ertrunken?«
»Nein. Definitiv nicht ertrunken.«
»Nicht?«
»Es war kein Wasser im Becken. Dann ist es wohl schwer zu ertrinken. Um nicht zu sagen – unmöglich.«
Ein schiefes Millimeterlächeln deutete an, dass Hiller gerade seiner Freude an Scherzen nachgegeben hatte. Van Veeteren setzte sich auf den Besucherstuhl.
»Mord? Totschlag?«
»Offenbar nicht. Sie ist wahrscheinlich einfach unglücklicherweise hineingefallen. Oder aus Versehen gesprungen. Aber das ist etwas unklar, und Sachs hat um Hilfe gebeten. Nach dieser kleinen Blutung ist er nicht mehr so richtig belastbar… du erinnerst dich doch? Er scheint das auch einzusehen, aber er hat ja nur noch ein Jahr bis zur Pensionierung.«
Van Veeteren seufzte. Er hatte Kommissar Sachs kennen gelernt – und mit ihm in drei oder vier Fällen zusammengearbeitet. Hatte keine feste Meinung von ihm – weder positiv noch negativ, wusste aber, dass er vor ein paar Monaten eine leichte Gehirnblutung gehabt hatte, und das könnte möglicherweise sein Einschätzungsvermögen etwas beeinträchtigen. Zumindest war etwas in dieser Richtung angedeutet worden, aber ob es sich tatsächlich so verhielt oder ob es eher auf Sachs’ eigener Unsicherheit basierte, nachdem er eine mikrometerdünne Adernwand vom Tod entfernt gewesen war, ja, das war natürlich schwer zu sagen.
»Wann ist es passiert?«, fragte er.
»Heute Nacht«, sagte der Polizeipräsident und fingerte an seinem tadellosen Krawattenknoten. »Du kannst natürlich jemanden hinschicken, aber wenn es bei dir nicht zu eng ist, würde ich vorschlagen, dass du es selbst übernimmst. Im Hinblick auf Sachs, meine ich. Aber wir haben nichts, was auf irgendwelche Unstimmigkeiten hindeutet, vergiss das nicht. Da reichen wahrscheinlich ein paar Stunden und der gesunde Menschenverstand.«
»Ich werde es übernehmen«, entschied Van Veeteren und stand auf. »Gegen eine kleine Autofahrt ist sicher nichts einzuwenden.«
»Hmpff«, sagte Hiller.
»Jaan G. Hennan!«, rief Van Veeteren aus, während Münster ihn aus dem Garagenlabyrinth der Polizeiwache lotste. »Das kann ich einfach nicht glauben.«
»Wieso nicht?«, wollte Münster wissen. »Wer ist dieser Hennan?«
Aber Van Veeteren gab keine Antwort. Er hatte eine dreiseitige Zusammenfassung des Falls bekommen, geschrieben von einem gewissen Wagner, und mit einer kürzeren Abhandlung des Rechtsmediziners Meusse dabei. Diese Papiere hielt er jetzt in den Händen und versuchte, sich ein Bild zu machen. Münster warf einen Blick auf seinen Vorgesetzten und sah ein, dass es wohl am Besten war, zu warten, und sich auf das Fahren zu konzentrieren.
»Hennan…«, brummte der Kommissar und begann zu lesen.
Aus Wagners Bericht ging hervor, dass die tote Frau Barbara Hennan hieß und dass die Polizei durch einen Telefonanruf (eingegangen 01.42 Uhr) zum Ort des Geschehens (Kammerweg 4 in Linden) gerufen worden war, und zwar von dem Ehemann der Verstorbenen.
Einem gewissen Jaan G. Hennan, wie gesagt. Die Polizei war um 02.08 Uhr eingetroffen, hatte festgestellt, dass die Frau auf dem Boden eines leeren Pools lag und tatsächlich tot war. Das Verhör von Hennan war unmittelbar danach durchgeführt worden, und daraus hatte sich ergeben, dass er um ca. 01.15 Uhr
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