Sein letzter Fall - Fallet G
Stunde. Was für einen Eindruck hast du von Hennan gehabt? Hat er etwas zu verbergen?«
Sachs klappte den Block zu und schob die Hände in die Hemdsärmel. Lehnte sich auf dem Stuhl zurück und dachte nach.
»Weiß der Henker«, sagte er schließlich. »Er war ja angetrunken, als ich mit ihm gesprochen habe, aber trotzdem… ja, irgendwie erschreckend gesammelt. Wenn er nun unter Schock stand oder so – und das sollte er ja eigentlich –, dann hat er sich zumindest nichts in der Richtung anmerken lassen. Obwohl… ja, ich bin mir überhaupt nicht sicher, welchen Eindruck ich eigentlich von ihm habe. Ich bin dankbar, dass ihr kommt und euch selbst ein Bild verschafft. Wie schon gesagt, so neige ich natürlich dazu, das Ganze als einen Unfall anzusehen, aber beschwören möchte ich nichts.«
»Und kein Zeichen, dass sie im Haus Besuch gehabt haben könnte? Von jemand Fremdem, meine ich?«
»Zumindest nicht, soweit wir bemerkt haben. Nur ihr eigenes Glas und so weiter. Aber wir sind natürlich nicht mit dem Staubsauger durchgegangen. Es gab… es gab irgendwie keine Veranlassung dafür.«
Van Veeteren nickte und umfasste mit den Händen die Armlehnen seines Sessels.
»All right«, sagte er. »Dann wollen wir mal sehen, was Inspektor Münster und ich so zu Wege bringen. Wenn es etwas von unmittelbarem Interesse sein sollte, dann schauen wir möglicherweise auf dem Rückweg noch mal vorbei. Ansonsten telefonieren wir miteinander.«
»Ihr seid hier immer herzlich willkommen«, versicherte Kommissar Sachs und breitete die Arme aus. »Waidmannsheil, wie man zu sagen pflegt.«
8
Eine alte Borkmann-Regel tauchte in Van Veeterens Kopf auf, Sekunden nachdem er Jaan G. Hennan Auge in Auge gegenübergetreten war.
Das war nicht das erste Mal. Kommissar Borkmann war während der frühen Jahre in Frigge sein Lehrmeister gewesen, aber zu der Zeit war ihm noch nicht klar gewesen, wie viele der leisen Hinweise des alten Bluthunds ihn während seiner Karriere begleiten würden.
Aber so war es nun einmal. Ganz gleich, welcher Art die Ermittlungen waren, es gab so gut wie immer einen Rat von Borkmann aus dem Brunnen der Erinnerung heraufzuholen. Wenn man sich nur die Zeit dafür nahm. Er konnte die sanfte Stimme seines Mentors klar und deutlich im Kopf hören, durch zwei Jahrzehnte hektische und chaotische Polizeiarbeit hindurch.
Dieses Mal – gerade als er und Inspektor Münster sich langsam der kräftigen Gestalt oben auf der Terrasse der Villa Zephir näherten – ging es um die Fähigkeit, den Mund zu halten.
Lerne zu schweigen!, hatte Borkmann ihm eingeschärft. Für jemanden, der ein schlechtes Gewissen hat, gibt es nichts Unangenehmeres als Schweigen.
Und er hatte weiter ausgeführt: Wenn du es nur schaffst, die Klappe zu halten, kannst du allein durch einen Blick oder eine erhobene Augenbraue jeden Mörder oder Bankräuber dazu bringen, die Fassung zu verlieren und sich zu verplappern. Aus reiner Nervosität. Mache das Schweigen zu deinem Bundesgenossen, und du behältst in jedem Verhör die Oberhand!
Kurz bevor sie in Hörweite kamen, hielt er Münster am Arm zurück.
»Sag nicht zu viel«, wies er ihn an. »Lass mich das hier machen.«
»Aj aj«, sagte Münster. »Kapiert.«
Hennan trug eine weiße, weite Hose und eine Art blauen Seglerpullover. Oder vielleicht auch Golf, Münster konnte das schwer beurteilen. Er sah verkniffen und leicht verärgert aus. Kurz geschnittenes, dunkles Haar. Eine Spur von Grau an den Schläfen. Ein kräftiges Gesicht. Als er die Hand gab, drückte er ordentlich zu, als ginge es um eine Art Reviermarkierung.
»VV«, sagte er. »Lange nicht gesehen.«
»G.«, erwiderte Van Veeteren. »Ja, einige Jahre.«
»Münster«, sagte Münster. »Kriminalinspektor.«
Sie ließen sich an einem Tisch aus dickem Edelholz nieder. Wahrscheinlich Teak. Darauf stand ein Eiskübel mit ein paar Bierflaschen darin.
»Ein Glas Bier?«, schlug Hennan vor. »Es ist heiß.«
»Wird wohl regnen«, sagte Van Veeteren. »Doch, gern, danke.«
Hennan schenkte drei Gläser ein. Jeder nahm einen Schluck, dann saßen sie zehn Sekunden schweigend da.
»Ja ha?«, fragte Hennan.
Van Veeteren zog ein Päckchen West hervor und zündete sich umständlich eine Zigarette an. Münster verschränkte die Arme vor der Brust und wartete. Musste plötzlich feststellen, dass es deutlich einfacher war, ein Verhör durchzuführen, wenn man Raucher war.
»Verzwickte Geschichte«, sagte Van Veeteren und stieß den Rauch
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