Sein letzter Fall - Fallet G
seine Überraschung zu verbergen, indem er eine Zigarette anzündete.
»Blödsinn«, sagte er. »Warum sollte Barbara so jemanden wie Verlangen kennen?«
»Wenn sie noch am Leben wäre, hätte sie es dir erklären können. Aber Verlangen wird das natürlich während der Gerichtsverhandlung erklären.«
Einen Augenblick lang, nur für den Bruchteil einer Sekunde, hatte Van Veeteren den Eindruck, als würde Hennan seine Maske verlieren. Vielleicht war es auch nur Einbildung, aber während eines unerhört kurzen Zeitraums schien es dem Kommissar, als könne er direkt in sein Gegenüber hineinschauen – und wenn er bis dahin irgendeinen Zweifel an der Schuldfrage gehegt hätte, dann hätte dieser nackte Blick genügt. Jaan G. Hennan hatte Barbara Clarissa Delgados Leben auf dem Gewissen, ebenso wie das von Philomena McNaught. Blitzschnell überlegte er, wie man diese vollkommene Enthüllung in Worte fassen könnte, diese absolute Schuld, in zwei solchen Augen – für die Geschworenen beispielsweise –, aber das Einzige, was er vor sich sah, das war der tiefe Abgrund, der Einsicht und Tat voneinander trennt. Und das war nicht das erste Mal.
Er wurde durch Hennans Räuspern wieder in die Wirklichkeit zurückgeholt.
»Ist es heutzutage der Polizei erlaubt, während eines Verhörs alle möglichen Lügen aufzutischen?«, fragte er.
Van Veeteren schnaubte.
»G.«, sagte er. »Es ist eine Sache, sich mit Mördern befassen zu müssen. Aber es ist eine andere, sich mit einem hoffnungslos einfältigen Mörder abgeben zu müssen, und das finde ich ziemlich langweilig. Wir machen eine halbe Stunde Pause.«
Hennan schüttelte den Kopf und machte Miene aufzustehen.
»Nein, nein«, hielt der Kommissar ihn zurück. »Du bleibst hier. Es gibt den Fußboden, wenn du dich ein wenig ausstrecken willst.«
»Ich bin gegen meinen Willen beeindruckt«, musste Inspektor Reinhart während der Pause zugeben. »Aber ich glaube, es wäre doch besser, wenn wir unsere Methoden nicht über den Äther hinausposaunen.«
»Wie habt ihr seine Reaktion auf Verlangen empfunden?«, wollte der Kommissar wissen. »Es gab da eine Unsicherheit, aber ich habe sie erst im Nachhinein registriert.«
»Eine Unsicherheit?«, fragte Münster. »Was für eine Unsicherheit?«
Der Kommissar schüttelte den Kopf und schob sich einen Zahnstocher in den Mundwinkel.
»Ich hatte das Gefühl, dass er nur überrascht spielt. Aber nur zur Hälfte… und ich weiß nicht, welche Hälfte nun echt war.«
»Übrigens dieser Verlangen«, seufzte Rooth. »Wir haben ja keine Ahnung, was er da in diesem Lokal gesagt und was er nicht gesagt hat. Er war offenbar ziemlich beschickert, da kann ihm doch alles Mögliche über die Lippen gerutscht sein.«
»Vollkommen richtig«, stimmte der Kommissar zu. »Bis jetzt haben wir noch keine Antwort auf diese Frage. Aber warum um alles in der Welt ist sie zu einem Privatdetektiv gegangen? Das ist eine wichtige Frage. Genügt es, dass sie sich irgendwie bedroht gefühlt hat? Ich denke nicht, es müsste doch möglich sein, hier eine Präzisierung hinzukriegen.«
»Wenn Verlangen selbst diese Frage nicht beantworten kann, wie sollten wir das dann können?«, warf Rooth ein. »Diejenige, die das weiß, ist bekanntlich tot.«
»Das ist mir bekannt«, sagte Van Veeteren.
»Wie sieht das Drehbuch für die nächste Runde aus?«, fragte Reinhart.
»Hundertachtzig Grad Drehung der Windrichtung«, antwortete der Kommissar. »Holt mich in einer Viertelstunde, ich lege für eine Weile die Füße auf den Schreibtisch. Und haltet bitte die Augen auf, wie er sich da drinnen verhält.«
Münster schaute auf die Uhr. Es war fünf Minuten nach halb eins.
»Ich möchte, dass du dich konzentrierst«, erklärte Van Veeteren. »Deshalb hast du die Tasse Kaffee bekommen.«
»Ich bin überwältigt«, sagte Hennan.
Während der gesamten Unterbrechung hatte er zurückgelehnt auf dem Stuhl gesessen, die Arme vor der Brust verschränkt, die Augen geschlossen. Das Lächeln war jetzt aus seinem Gesicht verschwunden, aber ansonsten sah er gefasst aus.
»Zunächst einiges für das Protokoll. Vor zwölf Jahren wurdest du wegen Drogendelikten verurteilt und hast zwei und ein halbes Jahr im Gefängnis verbracht. Stimmt das?«
»Ich habe bereits…«
»Antworte mit Ja oder Nein.«
»Ja«, antwortete Hennan mit einem Achselzucken.
»Vor knapp zehn Jahren bist du in die USA emigriert?«
»Ja.«
»Unmittelbar nach deiner Entlassung?«
»Im Großen und
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