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Sein letzter Trumpf

Titel: Sein letzter Trumpf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Zsolnay Verlag
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als sie zum Reden kamen. Draußen hatte die lange Frühlingsdämmerung gerade begonnen, das Haus in Schatten zu hüllen. Claire setzte sich im Bett auf und lehnte sich halb zugedeckt mit dem Rücken ans Kopfteil. Ihren Drink – die Eiswürfel darin waren längst geschmolzen – balancierte sie auf ihrem Knie, dessen gebräunte Haut gegen das klare Glas noch dunkler wirkte. Parker, in dunkler Hose, ging auf und ab, während er ihr zuhörte.
    »Cathman ist Witwer«, begann sie, »seine Frau ist vor sieben Jahren an Krebs gestorben. Keine Freundinnen. Drei erwachsene Töchter, alle verheiratet, leben in verschiedenen Teilen des Nordwestens. Sie kommen alle gut miteinander aus, haben aber keinen engen Familienzusammenhalt. Zu Weihnachten fährt er ins Haus einer seiner Töchter. Das ist so ziemlich alles.«
    »Er ist allein?«
    »Er lebt allein. In dem Zweizimmerbüro, das er für seine Beratertätigkeit unterhält, hat er eine Sekretärin, eine ältere Frau namens Rosemary Shields, die schon jahrelang für ihn gearbeitet hat, als er noch bei der Staatsregierung war; sie hat sich gleichzeitig mit ihm pensionieren lassen und arbeitet seither weiter für ihn. Sie ist eine dieser hingebungsvollen Sekretärinnen: Sex war nie ein Thema, aber sie würde sich für ihren Chef in Stücke reißen lassen, und er wüsste nicht, wie er ohne sie leben sollte.«
    »Er muss auch noch andere Leute kennen«, sagte Parker. Er sah stirnrunzelnd zum Fenster hinaus auf den See, in demsich das beginnende Abendrot spiegelte. Es sah aus, als seien viele verschiedene Pastellfarben darüber ausgeschüttet worden. »Er ist kein Einzelgänger«, sagte er.
    »Jedenfalls nicht aus Neigung«, stimmte Claire zu. Sie trank einen Schluck. »Er ist immer ein Bürokrat gewesen, seine Freunde waren ebenfalls Bürokraten. Sie sind alle älter geworden, in Pension gegangen, gestorben, weggezogen. Er schreibt sich mit ein paar Leuten in Florida und einem in Kalifornien. Er kennt noch ein paar Leute in Albany und Umgebung, ist aber nicht oft mit ihnen zusammen. Wenn er jemanden in dessen Büro geschäftlich sprechen will, ist der Betreffende im allgemeinen für ihn da.«
    Parker berührte die Fensterscheibe; sie war kühl. »Geld?« fragte er.
    »Seine Pension. Die Beratertätigkeit wirft ein bisschen was ab, nicht viel. Er wohnt seit siebenundzwanzig Jahren im selben Haus, in einem Vorort namens Delmar. Die Hypothek hat er schon vor vielen Jahren abbezahlt.«
    »Protegés? Junge, aufstrebende Bürokraten?«
    »Er steht in den wichtigen Fragen auf der falschen Seite«, sagte Claire. »Oder er kümmert sich um die falschen Fragen. Und er war nie so wichtig, dass man sich um ihn bemüht hätte. Ich glaube, im Grunde sind die Leute bereit, ihn zu vergessen, nur dass er eben noch da ist. Er geht zu den Abschiedsessen und den Pressekonferenzen.«
    »Geschwister?«
    »Zwei ältere Brüder, beide tot. Ein paar Cousins und Neffen und Nichten, die er nie sieht. Er kommt aus zwei alten neuenglischen Familien, sein Vorname Hilliard war der Mädchenname seiner Mutter. Anglikanische Geistliche und Collegeprofessoren.«
    Parker nickte und drehte sich dann mit seinem dünnenLächeln zu Claire um. »Daher der Widerstand gegen das Glücksspiel.«
    »Seine Altvorderen würden sich im Grab umdrehen.«
    »Bewaffneter Raubüberfall«, sagte Parker. »Dafür würden sie doch auch ein bisschen rotieren, oder etwa nicht?«
    »Ich glaube schon«, sagte Claire.
    Parker drehte sich wieder zum Fenster. Die verschüttete Farbe auf dem See dunkelte nach. Er sagte: »Er wird an diese Vorfahren denken, meinst du nicht? Er möchte alles richtig machen, sie nicht allzusehr aufbringen.«
    Claire betrachtete sein Profil und antwortete nicht.
    Nach einer Weile schüttelte Parker ärgerlich den Kopf. »Ich hab was gegen Energieverschwendung«, sagte er. »Aber ich hab so ein Gefühl, dass ich, bevor das vorbei ist, Cathman von seinem Elend werde erlösen müssen.«

 
    ZWÖLF
     
    Rosemary Shields war so, wie Claire sie beschrieben hatte: eine rundliche ältere Frau mit eisengrauem Haar und Betondauerwelle. Sie vermied es, mütterlich zu wirken, indem sie sich in Braun- und Schwarztönen kleidete und sich den Anschein kühler Professionalität gab. Als Parker ihr Büro durch eine Mattglastür mit der Aufschrift
     
    1100
    Hilliard Cathman Associates
     
    in Goldbuchstaben betrat, tippte sie flott auf ihrer Computertastatur, was wie Grillengezirp in den Wänden klang. Sie brachte die Grillen zum

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