Sein mit Leib und Seele - Band 03
eine Sonnenbrille und so zu tragen.“
„Machst du Witze?“
„Willst du wissen, was er vorhat, oder nicht?“
„Ja …“
„Gut. Wir verfolgen ihn auf traditionelle Art. Außerdem spricht doch nichts dagegen, sich ein wenig zu amüsieren …“
Mir gefallen die Sitten meiner neuen Freundin. Immer für einen Spaß zu haben. Und immer für einen da. Ich weiß, dass ihre Eltern in einem entlegenen Vorort wohnen, also wird Manon den restlichen Abend mit Sicherheit damit verbringen, sämtliche öffentlichen Verkehrsmittel zu nehmen, um ihr Auto zu holen.
Am nächsten Morgen steht meine Freundin zur besagten Uhrzeit bereit. Sie wartet in einem coolen, cremefarbenen Renault Super 5 aus den 80er-Jahren auf mich. Es regnet.
„Das Wetter ist ideal für eine diskrete Beschattung“, sagt sie, und stellt mir eine Papiertüte auf die Knie, während ich mich auf den Vordersitz setze.
„Was ist das?“
„Windbeutel. In Paris gibt es leider keine Donuts. Auf dem Rücksitz liegt eine Thermoskanne mit Earl-Grey-Tea, wenn du möchtest.“
Ich erkenne meine Freundin kaum wieder. Sie, die immer perfekt gekleidet ist, trägt ein apfelgrünes Oberteil und einen schwarzen Anorak. Ihre blonden Haare sind zu einem strengen Zopf geflochten und mit ihrer rosa Plastiksonnenbrille verleiht sie ihrer Verkleidung den letzten Schliff. Ich hingegen habe mich lediglich für schwarze Kleidung entschieden. Manon sieht mich traurig an.
„In der Tüte auf dem Rücksitz ist eine Perücke, setz' wenigstens die auf.“
Wie ein Schulkind, das für sein Fehlverhalten zurechtgewiesen wird, folge ich ihren Anweisungen. Es ist eine Afro-Perücke. Perfekt. Ich kann mein Lachen kaum verbergen, als ich unsere Verkleidungen genauer betrachte. Ich weiß nicht, was der Tag noch bringen wird, aber im Moment amüsieren wir uns köstlich. Allerdings ist die Euphorie nur von kurzer Dauer. Charles kommt aus dem Gebäude und läuft mit dunkler und besorgter Miene zu seinem Auto. Manon dreht die Musik auf (zufällig ein Best-of der Filmmusik zu Hitchcocks Filmen) und wir beginnen mit der Beschattung. Wir haben keine Ahnung, wohin wir fahren. Manon sagt, dass wir etwa dreieinhalb Stunden fahren können, bevor der Tank leer ist, aber wer weiß, wohin er uns führt.
Nach drei Stunden fährt Charles von der Autobahn ab. Offensichtlich sind wir in der Normandie. Wir haben Glück, denn es hat aufgehört zu regnen. Um uns herum erstrecken sich Felder und Hügel, Kühe grasen auf der Weide und die idyllische Landschaft lädt beinahe dazu ein, anzuhalten, um zu picknicken. Die schwarze Limousine hält plötzlich vor einem riesigen Tor an, das sich langsam öffnet. Wir sind gezwungen, weiterzufahren. Vor dem Eingang zu einem Staatswald in etwa zweihundert Meter Entfernung halten wir an.
„Was machen wir jetzt?“
„Wir gehen ihm nach. Zu Fuß. Nimm die Tasche auf dem Rücksitz.“
Wir sind da. Wenn es etwas zu entdecken gibt, dann jetzt. Aber ich bin mir nicht mehr sicher, ob ich es wirklich wissen will, ich fühle mich wie versteinert.
„Komm jetzt. Wir suchen Pilze!“ Manon schlägt die Autotür schwungvoll zu und stellt die Tasche in einen Weidenkorb. Mit entschlossenen Schritten geht sie zu der Stelle, an der Charles Auto durch das Tor verschwunden ist. Willenlos folge ich ihr. Schließlich kommen wir vor dem verschlossenen Gitter an. Das Anwesen gleicht einem großen Bürgerhaus und thront am Ende eines Weges mitten im Grünen. Vielleicht ein Hotel oder eine Klinik.
„Psychiatrische Klinik Vire, Langzeitaufenthalt“, liest Manon auf dem vergoldeten Schild.
„Jetzt wissen wir, wo er sich versteckt. Nun müssen wir nur noch herausfinden, wen er hier besucht. Komm, wir machen einen Rundgang.“
Das Anwesen ist riesig und wird von abschreckend hohen Mauern umringt. – Sind die Patienten denn gefährlich?
Nach einem Fußmarsch von etwa zwanzig Minuten stellt Manon ihren Korb auf den Boden. Ist das das Zeichen, dass wir unsere Beschattung hier beenden? Offensichtlich nicht. Meine Freundin beginnt, die Mauer hinaufzuklettern … Scheinbar habe ich mich völlig in ihr getäuscht, als ich sie zum ersten Mal gesehen habe.
„Gib mir das Fernglas!“
„Wie bitte?“
„In der Tasche!“
Sie hat wirklich an alles gedacht.
„Ich sehe einen großen Park. Nur wenige Menschen. Wie in einem Altersheim. Ach, da ist ja unser Charles. Er ist alleine und schmollt. Aber er ist immer noch süß …“
„Manon!“
„Ist ja gut … Jemand hat ihm gerade einen
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