Seine einzige Versuchung
davon. Mit teilnahmslosem Blick starrte er aus dem Fenster in die vorüberziehende Landschaft.
Elli sah immer wieder zaghaft aus dem Augenwinkel in seine Richtung. Es war offensichtlich, dass er nicht mit ihr sprechen wollte. Der richtige Zeitpunkt, um offen miteinander zu reden, war längst verstrichen. War es nicht so, dass er immer wieder Anläufe unternommen hatte, mit ihr zu sprechen? Und sie selbst? Hatte sie nicht geschwiegen, mal aus Verzagtheit, mal aus Stolz oder aus Dickköpfigkeit? Sie musste an einen Satz denken, den sie in einem Buch über die Geschichte einer Ehebrecherin gelesen hatte:
Aber es ist sonderbar, wieviel Zeit oft verstreicht, ehe Gedanken zu Worten werden, und mit welcher Sicherheit zwei Menschen, die ein Thema vermeiden möchten, oft unmittelbar bis an seine Grenze vorstoßen, um sich dann zurückzuziehen, ohne daran zu rühren.¹
Nun war sie selbst zur Ehebrecherin geworden. Anders als in dem Roman hatte sie sich auf eine Affäre mit einem Mann eingelassen, den sie nicht einmal liebte und er sie ebenso wenig. Sie hatte sich durch Kabus‘ Verführungskünste und seine vermeintliche Zuwendung blenden lassen. Diese Erkenntnis kam leider zu spät. Während der Ehemann ihrer Romanheldin tot geglaubt war und diese sich dann in einen anderen verliebt hatte, empfand sie ihre Schuld umso größer, da ihr Mann zwar seit der Hochzeit nicht wirklich anwesend, aber immerhin noch vorhanden gewesen war. Bisher waren keine Tränen geflossen. Elli befand sich ebenso wie Benthin in einem Zustand der Schockstarre. Ein innerer Zwang überkam sie und ließ sie wie ferngesteuert zögerlich nach seiner Hand greifen. Er zuckte zusammen und zog sie sofort weg:
„Ich kann das nicht.“ Er richtete seinen Blick wieder aus dem Fenster. Worte der Entschuldigung lagen ihr auf den Lippen und erschienen unaussprechlich. Er würde sie nicht annehmen, nicht jetzt, vielleicht nie. Wie sollte er entschuldigen können, was sie getan hatte, wo sie doch selber nicht in der Lage war, seine Fehler zu verzeihen? Was er getan hatte, wog mindestens genauso schwer, und doch galten wohl für Männer andere Regeln. Eine Frau zur Förderung der Karriere zu heiraten und dann ein Doppelleben mit anderen Frauen zu führen, war wahrscheinlich an der Tagesordnung. Andere Ehefrauen mochten sich damit arrangieren, sie nicht. Aber dann war da diese andere Seite an ihm. Da war diese unfassbare Qual, die sie in seinen Augen gesehen hatte. Sein verzweifelter Ausdruck gab ihr das Gefühl, die einzig wahre Schuldige zu sein. Sein Leid passte nicht in das Bild des kühl berechnenden Egoisten.
Paulsen hatte sich auch während dieser Fahrt seine Bemerkungen verkniffen. Er wusste nicht, was in dem Tabakschuppen vorgefallen war, und doch hatte er genügend Vorstellungskraft und Lebenserfahrung, um sich denken zu können, worum es ging. Er hatte sie beide gern und bemühte sich, unparteiisch zu bleiben. Sie war eine junge Frau voller Lebensfreude und Tatendrang. Benthin war nicht weniger dynamisch als sie, aber sein Pflichtbewusstsein und seine berufliche Zielstrebigkeit forderten ihm so viel Energie und Zeit ab, dass für sie nicht mehr viel übrig geblieben war. Es war also - ganz nüchtern betrachtet - nicht überraschend, dass sich eine so vitale Frau auf die Dauer mit einem solchen Zustand nicht zufrieden geben würde. Das sollte keinesfalls entschuldigen, was sie vermutlich getan hatte. Wenn er sich vorstellte, seine Frau würde… Er wusste nicht, ob er so beherrscht bleiben könnte, wie es Benthin während der Fahrt zu sein schien.
Benthin war alles andere als beherrscht. Es gelang ihm nur mühsam, den äußerlichen Anschein der Ruhe zu wahren und nicht komplett die Kontrolle über sich zu verlieren. Sein Kiefer war angespannt als sei er in einem Schraubstock eingezwängt. Als Elli ihn berührte, fuhr er unwillkürlich heftig zusammen. Sie wirkte so eingeschüchtert und bedrückt, dass er sie beinahe spontan in den Arm genommen hätte. Aber das war unmöglich. Es ging einfach nicht. Ein Gefühl lähmender Kraftlosigkeit überkam ihn.
„Ich kann das nicht.“ Sein Zustand ließ sich nicht in Worte fassen. Er kannte solche Empfindungen nicht. Nie zuvor hatte ihn eine Frau dahin gebracht, wohin er jetzt geraten war. Das galt für seine Liebe zu ihr gleichermaßen wie für die Qual, der er nun ausgesetzt war. Die Wunde, die sie ihm zugefügt hatte, wog schwer. Sie klaffte weit und erschien unheilbar. Vor Gericht würde er mit seinem
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