Seine einzige Versuchung
jetzigen Wissen ein glühendes Plädoyer für die Vernunftehe und gegen die Liebesheirat halten. Hätte er geahnt, wie verletzlich ihn die Liebe machen würde, wäre er rasend schnell geflüchtet als er ihr begegnete - ein Ding der Unmöglichkeit, denn die unbeschadete Flucht vor etwas, das einem selbst innewohnt, ist so gut wie ausgeschlossen.
Sie waren angekommen. Benthin verstieß bewusst gegen die Etikette und reichte Elli nicht die Hand zum Aussteigen. Ihre Berührung würde ihn auf ein unerträgliches Maß weiter schwächen. Selbst, sie anzusehen, tat weh. Er sah dennoch kurz verstohlen zu ihr hin. Sie wirkte unendlich bedrückt und fast so zerbrechlich wie während ihrer Krankheit. Wieder überkam ihn der Instinkt, sie beschützend zu umarmen, aber nicht sie brauchte den Schutz, sondern er selbst. Er hatte sich immer für stark gehalten. Die Kraft seiner Durchsetzungsfähigkeit hatte er oft genug unter Beweis gestellt, nun fühlte er sich nur noch ohnmächtig. Sein Zorn war längst verraucht - er hatte seine ganze Wut an Kabus ausgelassen. Zurückgeblieben war einzig und allein ein Gefühl der Leere. Wie sollte ihr Zusammenleben jetzt weitergehen? War es überhaupt möglich, unter diesen Voraussetzungen weiter zusammen zu leben? Elli hatte sich diese Frage ebenfalls gestellt und war bereits zu dem Schluss gekommen, dass ein Zusammenleben unter diesen Umständen nicht mehr möglich sein würde. Ihre Gefühle für ihn waren immer noch stark, und doch war zu viel geschehen. Eine Annäherung erschien ihr ausgeschlossen. Sie würde gehen.
Benthin ließ Elli schweigend den Vortritt auf der Treppe. Er hatte das Bedürfnis, sich zu waschen und umzuziehen, um die Spuren des Kampfes zu beseitigen. Wasser, Seife und frische Kleidung würden kaum reichen, um seine alte Verfassung wieder herzustellen. Dennoch konnte er es nicht ertragen, länger in denselben Sachen herum zu laufen, in denen er seinem Kontrahenten begegnet war. Elli ging ebenfalls in Richtung des Badezimmers. Als ihr klarwurde, dass er dasselbe Ziel hatte, zögerte sie kurz und lenkte ihre Schritte in Richtung ihres Schlafzimmers.
„Bitte.“ Benthin hielt ihr die Badezimmertür auf, um ihr mit einer entsprechenden Geste seines Armes den Vortritt zu lassen.
„Nein, nein - bitte geh‘ Du zuerst.“ Sie setzte ihren Weg ins Schlafzimmer fort, während er im Badezimmer verschwand. Elli wollte nicht länger den Geruch wahrnehmen, den sie an sich trug. Da war ihr dezentes Parfum, das sie für das Rendezvous mit Kabus aufgetragen hatte. Nie wieder würde sie diesen Duft benutzen, denn er war nun für immer mit den Geschehnissen im Tabakschuppen verbunden. Hinzu kam sein Geruch, der durch den engen Kontakt ebenfalls an ihr haftete. Sie hatte ihn durchaus angenehm gefunden. Anderenfalls hätte sie den Mann gar nicht so nahe an sich heran gelassen. Aber nun wollte sie diese Erinnerung nur noch loswerden und sehnte sich nach einem gründlichen Bad mit viel Seife, um wenigstens diesen Sinneseindruck auszulöschen. Es gelang ihr, alle Gefühle so weit auszuschalten, dass sie handlungsfähig blieb. Ihre Bewegungsabläufe erfolgten mit der Präzision eines Automaten. Da das Bad nun einmal belegt war, wusch sie sich zunächst Hände und Gesicht in der Waschschüssel. Dann kletterte sie auf einen Stuhl, um zwei Koffer vom Schrank zu holen. Sie entdeckte die herumliegenden Briefe, die Benthin in ihrer Tasche gefunden haben musste und sammelte sie ein, ohne noch einen Blick darauf zu werfen. Ihr Verstand führte sie ins Wohnzimmer, wo sie ohne zu zögern alle Briefe ins Feuer warf.
„Was tust Du da?“ Benthin stand plötzlich im Türrahmen.
„Ich verbrenne die Briefe.“ Ihre Antwort kam sachlich, klar, rational. Dann erst blickte sie auf und sah zu ihm. Sein Haar war nass, er hatte sich offenbar gewaschen und dann in aller Eile frische Sachen übergezogen, ohne sich zuvor richtig abzutrocknen. Das Hemd hing noch über der Hose. Es klebte stellenweise an seiner nackten Haut und ließ die Konturen seines Oberkörpers erahnen. Wieder erinnerte er sie an einen kleinen Jungen, der nicht auf die Mahnung der Eltern hören wollte, sich nach dem Baden gründlich abzutrocknen und erst danach seine Sachen anzuziehen, um sich nicht zu erkälten. Doch dies war nicht der Körper eines kleinen Jungen, sondern der eines Mannes, eines begehrenswerten Mannes, des Mannes, den sie immer noch liebte, aber bei dem sie nicht bleiben konnte. Die Erkenntnis ihrer fortwährenden
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