Seine einzige Versuchung
Aufräumarbeiten. Die beleibte Köchin Martha stand schon seit Elli denken konnte im Dienst ihrer Eltern. Sie hatte stets ein herzliches Verhältnis zur ältesten Tochter des Professors gehabt, die sich im Gegensatz zu seiner Frau und den Schwestern sehr für ihre Arbeit interessierte. Schon als Kind kam Elli immer gerne zu ihr in die Küche, um zu schauen, zu probieren und interessierte Fragen zu stellen. Sie war ein Kind gewesen, das gerne Neues versuchte und Freude an guten Speisen zeigte, auch wenn sie nie sonderlich viel aß. Als sie älter wurde, ging Elli ihr bei der Küchenarbeit gelegentlich zur Hand und stellte sich als willkommene Hilfe heraus. Über die Jahre war ein inniges Verhältnis zwischen ihr und Martha entstanden. Elli vertraute der Köchin im Grunde genommen mehr an als ihrer Mutter.
Als Benthin nun mit Elli die Küche betrat, verstummten sofort alle Gespräche. Gäste verirrten sich äußerst selten hierher, besonders nicht so ein vornehm wirkender Herr wie ihn Benthin aus Sicht des Küchenpersonals darstellte. Die Köchin fand als erste die Sprache wieder und bemerkte sofort Ellis ungewöhnliche Blässe. Sie wirkte noch zarter als sonst, was ihr kaum möglich erschien angesichts ihrer ohnehin sehr hellen, durchscheinenden Haut.
„Mädchen, wie siehst Du denn aus? Ganz bleich! Komm, setz‘ Dich an den Tisch!“ Ein argwöhnischer Blick traf Benthin. Die Köchin hatte einen ausgeprägten Beschützerinstinkt was Elli betraf. Im Laufe der Jahre war sie ihr fast wie eine eigene Tochter ans Herz gewachsen. Sie wollte ihn nicht darüber im Unklaren lassen, dass er sich mit ihr anlegen musste, falls er der Grund für Ellis elendes Aussehen sein sollte. Benthin sah sich zu einer Rechtfertigung veranlasst:
„Sie ist beim Tanzen fast ohnmächtig geworden, weil sie den ganzen Tag nichts gegessen hat, und das Büffet war schon abgeräumt. Da habe ich sie in die Küche gebracht.“ Vorerst gab sich die Köchin mit seiner Erklärung zufrieden. Trotz ihrer Leibesfülle holte sie mit erstaunlicher Geschwindigkeit einige Speisen und Getränke aus der Speisekammer und stellte sie auf den langen, massiven Eichenholztisch, der normalerweise dem Personal als Essplatz diente. Momentan war er allerdings größtenteils mit Geschirr, das gerade abgewaschen worden war, bedeckt. Elli setzte sich seufzend auf einen Stuhl, den ihr die Köchin am frei gebliebenen Tischende bereithielt. Die ganze Aufregung um ihre Person erschien ihr maßlos übertrieben.
„Danke Martha, es geht schon.“ Benthin zog sich einen herumstehenden Hocker heran und setzte sich ebenfalls zu ihr ans Ende des Tisches. Dabei achtete er voller Bedacht darauf, Elli nicht versehentlich mit seinen Beinen unter dem Tisch zu berühren. Unter seinen beobachtenden Augen konnte sie keinen Bissen herunter bringen, was auch den aufmerksamen Blicken der Köchin nicht entging. Sie setzte sich neben Elli und spannte sie in ein Gespräch über einige neue Rezepte ein, um sie abzulenken. Benthin hatte das Angebot, ebenfalls etwas zu essen, dankend abgelehnt. Er wollte lediglich ein Glas Wasser. Dem Gespräch zwischen Elli und der Köchin fasziniert lauschend, fiel ihm mit Bedauern auf, dass er nie in der Lage gewesen war, sich so familiär und freundschaftlich mit seinem Personal zu geben. Der vertraute Umgang mit der Köchin entspannte Elli sichtlich. Das nachgeholte Essen tat sein Übriges und ließ Ellis Gesichtsfarbe allmählich wieder zurückkehren. Sie war nun so von seiner Anwesenheit abgelenkt, dass sie ihm beinahe ähnlich unbeschwert und ausgelassen vorkam wie er sie noch als Mädchen in Erinnerung hatte. Eine wärmende Welle von Zuneigung ungeahnter Intensität erfasste ihn. Er konnte sich nicht erinnern, jemals für einen anderen Menschen ein derartiges Gefühl empfunden zu haben…
Kapitel 5
Der Köchin waren Benthins sehnsuchtsvolle Blicke nicht entgangen. Sie hatte reichlich Menschenkenntnis im Laufe ihrer langen Dienstjahre erworben und konnte allerhand in seinem verschlossenen Gesicht lesen. Trotz seiner reservierten Distanziertheit erahnte sie eine verborgene Feinfühligkeit unter seiner kühlen Fassade. Was Elli anbetraf, war sie sicher, dass sie nicht nur durch den Mangel an Nahrung aus der Bahn geworfen worden war, aber selber noch nicht erkannt hatte, was sie als vertraute Außenstehende schon ahnte.
„Junger Mann, Sie kommen mir irgendwie bekannt vor.“
„Entschuldigen Sie meine Unhöflichkeit. Ich habe vergessen, mich
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