Seine einzige Versuchung
sammeln und beschrieb in wenigen Worten, worin seine Tätigkeit ganz allgemein bestand.
„Ach, hatten Sie auch schon mal mit Mord zu tun?“, wollte die Köchin nun wissen.
Benthin musste lächeln. Ihre direkte Art begann ihn zu amüsieren.
„Nein, ich befasse mich vorwiegend mit Handels- und Vermögensrecht und nur gelegentlich mit strafrechtlichen Fragen.“
„Also würden Sie so jemanden wie mich nicht als Kunden nehmen, wenn ich - sagen wir mal - bei den Herrschaften das Silberbesteck hätte mitgehen lassen?“
Sie kann es nicht lassen. Benthin registrierte ihre Bemerkung erneut als Provokation, aber in diesem Punkt war er über jeden Zweifel erhaben:
„Im Gegenteil, ich würde Ihren Fall sofort übernehmen, schon allein, um Sie zu überzeugen, dass ich keine Standesdünkel habe“, zwinkerte er ihr zu in der Hoffnung, das Gesagte so entschärfen zu können. Er wollte keinen weiteren Schlagabtausch riskieren.
„Aber so jemand wie ich kann sich Ihre Dienste doch gar nicht leisten!“, entgegnete sie nun im Brustton der Überzeugung und in der Absicht, ihn mit diesem Argument in Verlegenheit zu bringen.
„Das wäre nicht das erste Mal, dass ich Mandanten habe, die sich eigentlich keinen Anwalt leisten können - darauf kommt es mir nicht an. Wenn ich jemanden verteidige, dann aus Überzeugung und nicht wegen des Honorars.“
„Arbeiten Sie etwa für umsonst?“
„Nicht unbedingt. Das würden die meisten schon aus Stolz nicht annehmen. Aber ich kann meine Honorarforderungen den Möglichkeiten der Klienten anpassen. Und das ist für alle Beteiligten in der Regel eine zufriedenstellende Lösung.“
„Aha, und Sie würden auch jemanden verteidigen, der sich nicht mal ein geringes Honorar leisten könnte?“
„Ja, wie gesagt, wenn ich überzeugt von der Sache bin.“ Ellis Interesse war ebenfalls geweckt. Das kleine Gefecht zwischen ihnen war in den Hintergrund getreten. Sie sah seine aufrichtige und tiefgehende Begeisterung für seine Tätigkeit und empfand Achtung angesichts seiner Überzeugungen. Er wirkte vollkommen selbstsicher und souverän bei diesem Thema, und es schien, als habe er schon viel Interessantes in seinem Beruf erlebt. In Elli wuchs das Bedürfnis, daran teilhaben zu können. Ihr war schon lange bewusst, dass sie privilegiert war und Geld nie eine Rolle gespielt hatte in ihrem bisherigen Leben - es war einfach vorhanden, ebenso wie Personal, ein großzügigesHaus, der herrliche Garten und sonstige Annehmlichkeiten, die das Leben bequemer machten. Und - nicht zu vergessen - sie hatte Zugang zur Bildung. In ihren Kreisen hatte man für Söhne und Töchter selbstverständlich Hauslehrer und die Mittel für eine höhere Schullaufbahn. Dagegen war in schlecht gestellten Familien nicht einmal eine grundlegende schulische Ausbildung der Kinder selbstverständlich. Viele konnten nicht oder nur unzureichend lesen und schreiben. Sie wurden schon früh zur Arbeit eingespannt, so dass oft gar keine Zeit für regelmäßige Schulbesuche blieb, ganz davon abgesehen, dass die finanziellen Mittel für Schulgeld ohnehin nicht vorhanden waren. Elli empfand es als großes Unrecht, dass Menschen, die finanziell nicht gut gestellt waren, oftmals gerade deshalb schlecht behandelt wurden. Dabei konnte sich schließlich niemand seine Herkunft aussuchen... Benthin allerdings auch nicht . Das musste sie der Gerechtigkeit halber zugeben. Er wirkte erfreut, als sie ihn nun mit unumwundenem Interesse bat, von einem Fall zu berichten, in dem der Mandant wenig oder gar nichts hatte bezahlen können. Erleichtert stellte er fest, dass Elli anscheinend über ihren Schatten gesprungen war. Er überlegte kurz und entschied sich für einen Fall, der sich gerade erst vor einigen Wochen zugetragen hatte:
„Im November letzten Jahres kam die Mutter eines Dreizehnjährigen zu mir - eine einfache Marktfrau. Sie hatte gehört, dass ich mich schon ein paar Male für wenig begüterte Klienten eingesetzt habe und hat sich in ihrer Verzweiflung an mich gewandt. Ihr Sohn war des Diebstahls bezichtigt worden. Bei seinem Leben hatte er der Mutter geschworen, sich zwar am Ort des Tatorts aufgehalten zu haben, aber nicht der Täter gewesen zu sein. Er war jedoch Zeuge des Diebstahls geworden. Allerdings schenkte niemand seiner Behauptung Glauben, es handele sich um eine Dame der höheren Gesellschaft. Im Gegenteil - seine Aussage wurde als besondere Dreistigkeit gewertet. Zum unterstellten Tatbestand des Diebstahls kam nun
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