Seine einzige Versuchung
vorzustellen: Julius von Benthin.“ Heute müssen mich alle für einen unsäglichen Kretin mit schlechter Kinderstube halten... Benthin erkannte sich selbst nicht mehr.
„Sind Sie nicht ein Student des Professors? Sie waren doch schon häufiger hier zu Gast?“
„War - ich war sein Student. Ich bin mittlerweile fünfunddreißig, und inzwischen verbindet mich eine private Freundschaft mit dem Professor“, antwortete er etwas pikiert. Irgendetwas reizte ihn an der Art der Köchin. Zu Recht wie sich nun herausstellte:
„Das will ja nichts heißen. Bei Euch Adeligen kann so ein Studium ja ein halbes Leben lang dauern - Arbeit ist doch für die meisten von Ihnen ein Fremdwort!“ Benthin begann zu ahnen, wo Elli ihre Schlagfertigkeit geübt und ihre Vorurteile gegenüber dem Adel erworben hatte. Diese Frau war so direkt, dass es ihm für einen Moment die Sprache verschlug. Doch hier ging es um seine Ehre. Er würde sich nicht nachsagen lassen, ein fauler Snob zu sein, der nicht arbeiten wollte. Er ging seiner Tätigkeit mit besonderer Ernsthaftigkeit und großer Leidenschaft nach, vermutlich gerade weil er nicht auf den Verdienst angewiesen war. Zu allem Überfluss bemerkte er, wie Elli die Köchin anlächelte und ihr verschwörerisch zuzwinkerte. Es schien ihr zu gefallen, wie er von der resoluten Frau in die Mangel genommen wurde. Beim Anblick ihres Lächelns fiel ihm auf, dass sie ihm dies bislang vorenthalten hatte. Er hatte ihr wohl wahrlich keinen Grund gegeben, ihm ihr bezauberndes Lächeln zu schenken. Sie versetzte ihm abermals einen Stoß, als sie die pikante Situation noch mit Ironie steigerte:
„Sei‘ doch nicht so hart zu ihm, Martha - er kann schließlich nichts dafür!“, gluckste sie.
„Sie tun ja geradezu so, als hätte ich eine Krankheit! Mein Beruf bedeutet mir sehr viel, und meine Herkunft ist dabei vollkommen nebensächlich. Aber ich weiß schon: ich erscheine mitunter zugeknöpft, blasiert, vorgestrig, typischer Alt - Adel eben!“, brauste er ungehalten auf. Elli sprang von ihrem Stuhl hoch und funkelte ihn wild an:
„Was fällt Ihnen ein! Sie haben uns belauscht!“
„Ich musste rein zufällig aus dem Garten zurück ins Haus gehen und dazu die Eingangshalle benutzen, falls Ihnen das entfallen sein sollte!“, konterte er mit scharfzüngigem Unterton und erhobener Stimme. Benthin hatte sich vorgebeugt. Die gepflegten, schlanken Hände flach auf die Tischplatte gelegt war er obendrein von seinem Hocker aufgesprungen, um Elli direkt Auge in Auge gegenüber zu stehen. Durch den Schwung seiner Bewegung war die Sitzgelegenheit polternd umgefallen. Ihre Nähe und ihre herausfordernden Blicke provozierten ihn mehr als alles, was ihm die Köchin jemals hätte an den Kopf werfen können. Sie standen sich gegenüber wie zwei knurrende Hunde, die um einen Knochen in der Mitte kämpfen wollten. Sein Herz raste - er spürte seine sinnliche und zugleich wütende Erregung. Warum konnte er keine fünf Minuten mit dieser Frau zusammen sein, ohne dass die Situation in irgendeiner Weise eskalierte?
Die Köchin war nicht mehr im Bilde, worum es zwischen den beiden ging. Allerdings bedauerte sie es inzwischen, ihn überhaupt provoziert zu haben. Im Grunde schien er ein ehrenhafter Mensch zu sein, der anscheinend sehr wohl einer geregelten Arbeit nachging, was sein Ansehen in ihren Augen erheblich steigerte. Wenn sich schon etwas zwischen Elli und einem Mann anbahnte, so sollte es aus ihrer Sicht zumindest jemand sein, der bodenständig war. Das Wortgefecht war selbstverständlich auch dem übrigen Küchenpersonal nicht entgangen. Sie hatten in ihrer Arbeit inne gehalten und starrten die Tochter ihres Arbeitgebers und den Gast neugierig an.
„Steht nicht herum - es ist noch genug zu tun!“, griff die Köchin - um Schadensbegrenzung bemüht - ins Geschehen ein. Dann wandte sie sich Elli und Benthin zu:
„Kinder, nun beruhigt Euch doch und setzt Euch wieder hin!“ Erschöpft und beschämt nahmen die Streithähne wieder Platz und vermieden sorgfältig den weiteren Blickkontakt. Benthin hatte den umgefallenen Hocker wieder aufgehoben und der Aufforderung der Köchin ebenso wie Elli Folge geleistet. Beiden war erst jetzt peinlich bewusst geworden, dass sich ihr unangebrachter Disput vor etlichen Zeugen abgespielt hatte.
„Was genau machen Sie denn nun eigentlich beruflich?“, bemühte sich die Köchin, das Gespräch wieder in ruhigeres Fahrwasser zu lenken. Benthin versuchte, sich zu
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