Seine einzige Versuchung
lächerlich und höchst überflüssig empfunden. Nun saß sie hier wie ein Häufchen Elend, selber einer echten Ohnmacht nahe, und niemand anderes war bei ihr als ausgerechnet dieser Mann, den sie eigentlich verabscheuen wollte, ihn aber zunehmend rätselhaft und gleichzeitig faszinierend fand.
Benthin fühlte sich mit verantwortlich für Ellis Zustand und setzte nun alles daran, dass es ihr wieder besser ging.
„Wo ist die Küche? Können Sie ein paar Schritte gehen?“ Da das Büffet inzwischen zugunsten der Tanzfläche abgebaut worden war, erschien es ihm naheliegend, die Küche mit Elli auf direktem Wege aufzusuchen. Doch Elli wollte den Weg in die Küche lieber alleine gehen. Seine fürsorgliche Aufmerksamkeit war zu viel für sie.
„Es geht schon wieder, vielen Dank. Gehen Sie doch bitte wieder zu den anderen Gästen.“
„Das kommt überhaupt nicht infrage! Sie sind gerade fast ohnmächtig geworden. Ich lasse Sie nirgendwo alleine hingehen!“ Elli hatte nicht mehr die Willensstärke, zu widersprechen und ließ ihn gewähren. Er umfasste ihr Handgelenk, um sie notfalls hochziehen zu können, falls sie zu stürzen drohte. Im Flur kamen sie an der Tür zum Arbeitszimmer vorbei. Die zornige Stimme des Professors war zu hören. Er war offensichtlich immer noch nicht mit seiner Moralpredigt fertig.
„Dieser Kerl kann froh sein, dass Ihr Vater ihn sich zur Brust nimmt. Ich könnte für nichts garantieren, wenn ich ihn in die Finger bekäme!“ Benthin schien wirklich aufgebracht zu sein.
„Ich wüsste nicht, was Sie das angeht“, murmelte Elli leise in der Annahme, er würde ihre bissige Bemerkung überhören oder ignorieren.
„Das geht mich sehr wohl etwas an - ich würde niemals zulassen, dass ein anderer…“ Er stockte. „… dass so ein dahergelaufener Schnösel Ihnen zu nahe tritt!“
„Aber Sie sind doch…“, platzte Elli heraus. Abrupt unterbrach sie sich, als sie merkte, dass sie das Unfassbare, was gerade zwischen ihnen beim Tanzen geschehen war, nicht in Worte fassen konnte ohne sich dabei auf gefährliches Terrain zu begeben. Er hatte gegen geltende Anstandsregeln verstoßen und zugleich höchst verwirrende, aber dennoch angenehme Empfindungen in ihr ausgelöst. Ganz im Gegensatz zu dem penetranten und tölpelhaften Annäherungsversuch des anderen waren seine Gesten äußerst feinfühlig und im selben Atemzug überaus aufwühlend gewesen. Oder hatte sie sich das alles womöglich nur eingebildet? Was interessiert es ihn überhaupt, wenn ich beim Tanzen bedrängt werde? Und was soll die ganze Aufregung - er hat doch gar keinen Grund, es sei denn…
„Ich bin doch - was ?“, wurde sie von ihm in ihren verwirrenden Gedanken unterbrochen. Die plötzliche Eingebung, er könne eifersüchtig sein, erschien ihr zu absurd, um diesen Gedanken weiter zu verfolgen.
„Es ist nichts. Wir sind sind da, hier ist die Küche. Man wird sich dort um mich kümmern. Vielen Dank, Herr von Benthin“, fügte sie betont distanziert hinzu, um ihn zum Gehen zu bewegen. Auch diesmal hatte Elli sich in ihm getäuscht. Konsequent ignorierte er ihre Worte und öffnete die Küchentür. Sie sind doch… klang ihre Stimme in ihm nach. Sie sind doch… ebenso wie dieser Kindskopf aufdringlich geworden und haben sich mir in unschicklicher Weise genähert, Benthin, Sie unglaublicher Trottel. Sie sind eine Zumutung! - formulierte er ihren begonnenen Satz für sich zu Ende. Wie konnte er dem unerfahrenen Bengel für sein Vergehen in Gedanken Prügel androhen und sich ihr gegenüber letztlich dieselbe Charakterlosigkeit herausnehmen? Es machte ihn rasend, sich vorzustellen, dass ein anderer Mann Elli bekommen könnte. Er wurde von einem quälenden Gefühl übermannt, das ihm bislang im Leben fremd geblieben war: Eifersucht.
Benthin wollte sich nicht zurückziehen, ohne ihr wenigstens ansatzweise erklärt zu haben, weshalb er sich so verhielt. Außerdem fühlte er sich maßgeblich beteiligt an ihrem Zustand und konnte es nicht ertragen, zur Festgesellschaft zurückzukehren als sei nichts geschehen. Sein Platz war hier, bei ihr, auch wenn sie ihn nun grimmig ansah, weil er nicht von ihrer Seite weichen wollte. Selbst wenn sie angeschlagen war, so wie jetzt, funkelten ihre Augen und versetzten ihm abermals einen durchdringenden Stoß. In der Küche herrschte noch immer munteres Treiben. Man war erleichtert, das Gröbste des Festes überstanden zu haben. Nun war es Zeit für den Abwasch und notwendige
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