Seine einzige Versuchung
Doch wahrscheinlich hatte er sie längst vergessen, und ihre aufreibende Begegnung war nur ein unterhaltsamer, kleiner Zeitvertreib für ihn gewesen.
Dies war nicht der Fall - ganz im Gegenteil. Benthin war Ellis Enttäuschung beim Abschied nicht entgangen. Einerseits fühlte er sich geschmeichelt, zugleich jedoch gewannen sorgenvolle Befürchtungen in ihm die Oberhand. Er machte sich Vorwürfe, Elli alleine gelassen zu haben. Benthin , Du elender Feigling! Früher oder später wird es sowieso jeder erfahren… Was macht diese Frau nur mit mir? Ich muss sie wiedersehen und zwar so bald wie möglich. Mein Verhalten war untragbar - das muss ich klarstellen! Auch er konnte seine Gedanken an sie kaum im Zaum halten. Ihm war schleierhaft, wie er mit diesem Chaos in seinem Kopf Schlaf finden sollte und beschloss, sich stattdessen in einen neuen Fall einzuarbeiten, was eigentlich erst für den nächsten Tag geplant war. Die Arbeit schien ihm das einzige Mittel zu sein, um seinen Verstand wieder in geordnete Bahnen lenken zu können.
„In der Küche ?! Sie hat einen fremden Mann mit in die Küche gebracht, und sie haben sich angeschrien ?! Das glaube ich nicht!“
„Wenn ich es Dir doch sage - ich war doch selber dabei! Du kannst ruhig die anderen aus der Küche fragen - es war genau so!“ Frau Preuß hatte genug gehört. Sie war soeben unfreiwillig Zeugin ihres tratschenden Personals geworden. Ein Küchenmädchen berichtete einem Dienstmädchen von den - aus ihrer Sicht - spektakulären Vorgängen in der Küche, die sich am Vorabend dort abgespielt hatten.
„Haben Sie nichts zu tun?“, unterbrach sie die beiden, die sich sofort mit schuldbewusster Miene wieder an ihre Arbeit machten. Ellis Mutter wollte den Gerüchten auf den Grund gehen. Ihr war bereits am Abend des Festes der Verdacht gekommen, dass Elli nur die halbe Wahrheit sagte. Sie hielt es für angebracht, zunächst die Köchin zu den Vorkommnissen zu befragen. Selbstverständlich war ihr nicht entgangen, wie sie Elli beim Hereintragen der Torte zugezwinkert hatte. Sie witterte eine Verschwörung. Als Hausherrin sah sie es als ihr gutes Recht an, zu erfahren, was in ihrem Haus hinter ihrem Rücken vorging. So stellte sie nun ihre langjährige Köchin zur Rede. Es konnte doch nicht angehen, dass ihre Tochter dem Personal mehr anvertraute als der eigenen Mutter! Mit dieser Überzeugung hatte sie die Küche betreten und keinen Zweifel an ihrer Absicht gelassen, die Wahrheit herauszufinden. Obwohl Martha eine gestandene Frau mit ausgeprägtem Selbstbewusstsein war, gelang es Frau Preuß, sie so weit einzuschüchtern, dass sie ihr den Hergang genau schilderte. Wie es zu dem Wutausbruch der beiden gekommen war, konnte die Köchin allerdings nicht erklären, da ihr die Zusammenhänge dafür selber immer noch nicht klar waren. Den Eindruck, den sie von Ellis und Benthins verborgenen Gefühlen bekommen hatte, verschwieg sie ebenfalls - sie wollte wenigstens einen Funken Loyalität gegenüber Elli wahren. Frau Preuß verstand die Zusammenhänge für den Streit dafür umso besser, war sie doch bei Ellis Tirade am Nachmittag in der Eingangshalle dabei gewesen. Demnach musste Benthin ihre Worte bei seiner Rückkehr aus dem Garten zufällig gehört haben. Und Elli schien alles unternommen zu haben, um ihn noch weiter zu verärgern. Kein Wunder, dass er das Fest wie aus heiterem Himmel verlassen hat. Wie konnte Elli diesen hochkarätigen Mann nur so vor den Kopf stoßen?! Sie erzürnte sich in Gedanken und war fest entschlossen, Elli gründlich die Leviten zu lesen. Doch würde Elli ihre Mutter überhaupt ernst nehmen? Frau Preuß erinnerte sich an ihre Worte, die sie hart getroffen und sprachlos gemacht hatten. Nein, diesmal würde sie zusätzlich ihren Ehemann einschalten. Ellis Eskapaden müssen ein Ende haben. Sonst wird sie nie einen Mann finden! Entschlossen eilte sie zum Arbeitszimmer ihres Mannes.
Benthin hatte wie erwartet kaum ein Auge zugemacht und fühlte sich nach einer unruhigen Nacht wie gerädert. Nach dem Frühstück wollte er eigentlich an seinem Fall weiter arbeiten, mit dem er in der Nacht begonnen hatte. Der Schlafmangel verhinderte die notwendige Konzentration auf die komplizierte Materie, zumal seine Gedanken wieder und wieder zu Elli abschweiften. Er hatte gehofft, der neu angebrochene Tag würde seine gewohnte Souveränität wieder herstellen - das Gegenteil war der Fall. Bewegung - ich brauche dringend Bewegung! - kam ihm der
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