Seine einzige Versuchung
rettende Einfall. Allein schon die Vorstellung an die Menschenansammlung im nahe gelegenen Stadtbad schreckte ihn ab. Üblicherweise suchte er hier ein bis zweimal in der Woche den körperlichen Ausgleich zu seiner Arbeit. Während ihn sonst die anderen Badegäste nicht weiter störten, wollte er heute unbedingt alleine sein, am liebsten draußen in der Natur wie früher im See auf dem Anwesen seiner Eltern. Da dies mehr als eine gute Tagesreise entfernt lag, beschloss er, seinen Kutscher Paulsen zu fragen, ob er vielleicht einen geeigneten See in der näheren Umgebung kannte. In der Tat konnte ihm dieser weiter helfen und brachte ihn zu einem Wäldchen am Stadtrand. Er beschrieb ihm den Weg zu einem versteckten Waldsee, der nur zu Fuß erreichbar war. Dementsprechend konnte Benthin recht sicher davon ausgehen, unbehelligt von anderen Menschen zu bleiben. Hier war er in seinem Element und genoss die Geräusche der Natur und die frische Luft. Sein athletischer Körper glitt mit gleichmäßigen Schwimmzügen elegant durch das kühle Wasser. Was hatte ihm Paulsen noch mit auf den Weg gegeben?
„Aber dit is‘ noch ziemlich kalt da drin um diese Jahreszeit - verkühlen‘se Ihnen nich‘, Herr von Benthin!“ Diese Gefahr bestand aus Benthins Sicht keineswegs. Doch das konnte sein Kutscher natürlich nicht ahnen. Er brannte geradezu innerlich vor Verlangen, Elli wieder zu sehen und konnte sich kaum vorstellen, dass das Wasser kalt genug sein würde, um seine hitzige Verfassung abzukühlen. Erfreut stellte er nichts desto trotz nach einigen Minuten die ersehnte Linderung fest. Das Glühen in seinem Innern hatte nachgelassen und die Gedanken schienen wieder etwas klarer zu werden.
„Was soll denn das heißen - sie hat ihn aus unserem Haus vertrieben? Woher nimmst Du Deine Weisheiten?“ Professor Preuß versuchte, seine aufgebrachte Frau dazu zu bringen, sich etwas präziser auszudrücken. Er kannte Elli nur zu gut, konnte sich aber beim besten Willen nicht vorstellen, dass sie seinen ehemaligen Studenten und hochgeschätzten Freund Benthin aus dem Haus gejagt haben sollte. Zuletzt hatte Benthin sie doch aus den Klauen dieses ungehobelten Bengels befreit. Warum sollte sie ihn also angefahren haben? Sie hatte einen ausgeprägten Sinn für Gerechtigkeit, der sie an die Decke gehen ließ, sobald sie ein Unrecht witterte. Die Zusammenhänge erschlossen sich dem Professor nicht, trotz seiner gewohnten Herangehensweise, die wie üblich von Logik geprägt war.
„Es ist so, dass Benthin ein Gespräch zwischen Elli und mir versehentlich mitbekommen hat. Darin hat sie einige äußerst boshafte Worte über ihn fallen lassen. In der Küche hat er sie dann zur Rede gestellt, und sie hat sich wieder sehr taktlos ihm gegenüber benommen!“
„Sagtest Du nicht, er sei ebenfalls laut geworden?“
„Wundert Dich das bei ihrem beschämenden Verhalten?“ Professor Preuß schüttelte den Kopf - irgendetwas kam ihm an der Geschichte merkwürdig vor. Er weigerte sich, Elli die alleinige Schuld an der Eskalation zuzuschieben wie es seine Frau zu tun beliebte. Sie hatte schon immer ein gespanntes Verhältnis zu ihrer Tochter gehabt, die aus ihrer Sicht aufsässig und schwierig war. Das war im Vergleich zu Ellis eher angepassten Schwestern und anderen höheren Töchtern sicherlich der Fall, aber Elli war zugleich aufgeweckt und neugierig, und sie vertrat ihre Interessen voller Inbrunst. Andererseits konnte er sich überhaupt nicht vorstellen, dass Benthin laut geworden sein sollte, wie es seine Frau von der Köchin erfahren haben wollte. Da half nur ein Gespräch mit Elli unter vier Augen. Er bat seine Frau, sie zu ihm zu bringen. Frau Preuß war froh, dass ihr Mann die Dinge nun in die Hand nahm. Er war bisher viel zu nachsichtig mit Elli gewesen, wenn es nach ihr ging. Ellis Verhalten war eine Zumutung und würde eines Tages noch die ganze Familie in gesellschaftlichen Misskredit bringen, wenn sie so weitermachte. Sie ahnte nicht, wie Recht sie mit ihren Befürchtungen hatte, wenngleich sie auch in völlig anderer Weise eintrafen als sie es erwartete…
Elli fühlte sich sichtbar unbehaglich, als sie schließlich vor ihrem Vater stand. Die Mutter hatte sie mit strengen Worten in sein Arbeitszimmer zitiert und ließ keinen Zweifel daran, wie ernst die Situation war. Nicht nur, dass Elli unendlich müde war, denn wie erwartet hatte sie kaum schlafen können und sich nur unruhig im Bett hin und her gewälzt. Nun wurde sie
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