Seine einzige Versuchung
Die unerwartete Berührung ließ Elli ihre Hände ruckartig zurückziehen, nicht etwa weil es ihr unangenehm war - sie hatte nicht geahnt, dass Küsse sich so entwickeln könnten. Die Spur, die er mit seiner Zunge hinterlassen hatte, prickelte noch immer. Ihr ganzer Körper war in Aufruhr.
„Verzeihen Sie mir … das wollte ich nicht.“ Er hatte sich zu ihr vorgebeugt und ihr die Worte mit - vor Begehren - rauer Stimme ins Ohr gemurmelt. Elli spürte wie sein Atem ihre Haut berührte, was ihre Erregung noch verstärkte und sie abermals erröten ließ. Benthin schimpfte sich einen Lügner. Oh doch, Du wolltest genau das! Du wolltest ihre Lust sehen und machst trotz Deiner Entschuldigung einfach weiter! Reiß‘ Dich verdammt noch mal endlich zusammen! Er war über seine Unbeherrschtheit verärgert und zugleich bezaubert von den Empfindungen, die er offenbar in ihr auszulösen vermochte. Schließlich musste er seine ganze Beherrschung aufbringen, um zum Ende zu kommen, indem er ihr einen kurzen, vielmehr brüderlichen Kuss auf die Stirn gab. Mit großer Bestimmtheit nahm er die Ruder und steuerte das Boot zurück zum Steg. Elli schien entrückt zu sein - sie war ganz still - und zugleich enttäuscht, da ihre berauschende Begegnung nun dem Ende zuging. Sie wollte noch so viel von ihm wissen und mochte nicht daran denken, dass er bald schon wieder gehen würde. Am Steg half er ihr wieder aus dem Boot. Er zog sie näher an sich als es notwendig war und sah ihr voller Sehnsucht in die Augen. Elli erwiderte seinen Blick und suchte nach Worten, die ihn veranlassen sollten, noch länger zu bleiben:
„Wie ging es mit dem Jungen, den Sie verteidigt haben, weiter?“ Belustigt über ihre Sprunghaftigkeit antwortete er:
„Wie kommen Sie denn jetzt darauf ?“
„Ich dachte, wir machen noch einen kleinen Spaziergang, und Sie erzählen mir, wie der Fall ausging?“ Benthin begann den Hintergrund ihrer Frage zu ahnen und war hingerissen - offensichtlich lag ihr etwas an seiner Anwesenheit:
„Ihr Interesse ehrt Sie, und ich würde sehr gerne noch länger bei Ihnen bleiben. Aber ich muss mich heute unbedingt noch einem Fall widmen, den ich aufgrund der Ereignisse sträflich vernachlässigt habe. Kann ich Sie morgen wiedersehen?“
„Diesmal müssen Sie sich aber unbedingt von meinen Eltern verabschieden, sonst gibt es wieder einen Aufstand.“
„Elli, kann ich Sie morgen wiedersehen ?“, drängte er sie nun.
„Ja.“ Auch wenn er keine Ablehnung erwartet hatte, verblüffte sie ihn abermals mit ihrer lakonischen Antwort. Sie war zu aufrecht und direkt, um raffinierte Spielchen zu spielen wie es Frauen mitunter gerne taten. Das war eine weitere Seite an ihr, die ihm ausgesprochen gut gefiel.
„Ich komme am Nachmittag zu Ihnen, in etwa zur selben Zeit wie heute, wenn Ihnen das recht ist.“ Elli nickte.
„Ich möchte gerne noch ein wenig hier draußen bleiben.“ Er gab ihr die rechte Hand mit festem Druck, den sie erwiderte. Sie loszulassen fiel ihm schwer. Darum führte er ihre Hand mit einer kleinen Verneigung zu seinem Mund, um ihr einen - den Anstandsregeln entsprechenden - Handkuss zu geben. Dann ließ er sie schweren Herzens los und machte sich auf den Weg zurück zum Haus.
Kapitel 9
Dank des Machtwortes des Professors übte sich seine Frau in Zurückhaltung und bedrängte Elli nicht mit Fragen, obwohl sie vor Neugierde beinahe platzte. Mit Genugtuung nahm sie wahr, dass Benthin sein Werben um Elli offensichtlich fortsetzte, da er sich bereits für den nächsten Tag erneut angekündigt hatte und auch in den folgenden Wochen keine Gelegenheit ausließ, um Elli zu sehen. Während Frau Preuß beide mit Wohlwollen zu weiteren Ausflügen zu zweit regelrecht ermunterte, betrachtete ihr Mann die Entwicklung noch immer mit distanzierter Skepsis. Auch wenn Benthin als potentieller Schwiegersohn theoretisch seine Zustimmung fand, war er nach wie von der Geschwindigkeit, mit der alles seinen Lauf nahm, überwältigt. Er war insgeheim noch immer fassungslos, zumal es so aussah, als sei Elli durchaus angetan von Benthins Bemühungen. Somit sah er den Tag näher rücken, an dem Elli sein Haus für immer verlassen würde, und dies behagte ihm wenig. Entsprechend bedeckt gab er sich im Umgang mit seinem ehemaligen Zögling und zog sich schweigend zurück, wenn dieser mit Elli zu Spaziergängen aufbrach, zu denen die beiden - zu seinem Leidwesen - von seiner übereifrigen Frau ausdrücklich ermutigt wurden.
Benthin
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