Seine einzige Versuchung
war die Haltung des Professors nicht entgangen. Er verhielt sich distanzierter als sonst, während seine Frau geradezu darauf versessen schien, dass er möglichst viel Zeit mit Elli alleine verbrachte. Die Reaktion seines Freundes belastete ihn, auch wenn sie ihm nachvollziehbar erschien. Zugleich war er voller Euphorie angesichts Ellis offensichtlichen Interesses, ihn wiedersehen zu wollen. Er konnte keinen nennenswerten Widerstand gegenüber den wenig diskreten Aufforderungen der Frau Preuß leisten, er und Elli mögen doch den herrlichen Park und die Umgebung zu ausgiebigen Spaziergängen nutzen. Auch Elli hielt sich mit ihrer üblichen Abwehr gegenüber den Anwandlungen ihrer Mutter zurück, vielmehr konnte sie es kaum noch abwarten, endlich wieder mit Benthin alleine zu sein. Dank des ausgesprochen herrlichen Frühsommerwetters in diesem Jahr genossen Elli und Benthin ihre Spaziergänge bei strahlendem Sonnenschein und angenehmen Temperaturen. Sie konnten eine unbeschwerte Zeit zu zweit verbringen, die nur geringfügig von der Reserviertheit des Professors überschattet wurde. Da er keine Bedenken gegenüber Benthins Ehrenhaftigkeit hegte, hatte er sich zwar nicht ausdrücklich für ihre Ausflüge in die Abgeschiedenheit der Natur ausgesprochen, aber auch keine Einwände dagegen erhoben. Somit bestand keine Veranlassung zur Heimlichtuerei. Auch wenn Benthin zwischenzeitlich immer wieder von seinem schlechten Gewissen gegenüber seinem Freund eingeholt wurde, gelang es ihm, diesen unangenehmen Gedanken schnell fort zu wischen. Er war verzaubert von Ellis Interesse an seiner Person und brannte darauf, mehr von ihrem Leben und ihren Ansichten zu erfahren.
An Ellis Bitte anknüpfend, hatte Benthin ihr während eines ihrer ersten gemeinsamen Spaziergänge angeboten, den Fall des Jungen, der des Diebstahls bezichtigt worden war, zu Ende zu erzählen:
„Möchten Sie, dass ich Ihnen von den Entwicklungen in dem besagten Fall erzähle?“
„Sehr gerne.“ Benthin war froh, ein Thema zu haben, das unverfänglich war und ihm Sicherheit gab. Überdies freute er sich über Ellis Wissensdrang, mehr über seiner berufliche Tätigkeit zu erfahren. Da er Ellis direkte Art inzwischen besser kennengelernt hatte, konnte er davon ausgehen, dass ihr Interesse nicht aus Höflichkeit geheuchelt war.
„Der Junge hatte also seiner Aussage zufolge eine Dame der Gesellschaft bei dem Diebstahl beobachtet, den er angeblich selber begangen haben sollte. Als sein Rechtsbeistand habe ich seiner Aussage natürlich geglaubt. Ich hätte mich seiner ohnehin nicht angenommen, wenn er mich nicht so plausibel von seiner Unschuld überzeugt hätte. Das Schwierigste war, den Ehemann der betreffenden Dame dazu zu bewegen, seine Anzeige gegen den Jungen zurück zu nehmen. Dem Ladenbesitzer kam es nicht so sehr darauf an, den Jungen angeklagt zu sehen als vielmehr seinen finanziellen Schaden ausgeglichen zu bekommen. Da es sich um keinen besonders hohen Betrag handelte, habe ich dies zunächst einmal unbürokratisch selber geregelt, um mich in Ruhe der drohenden Verleumdungsklage widmen zu können. Ich kürze das Ganze jetzt ein wenig ab, um Sie nicht zu langweilen…“
„Sie langweilen mich nicht - im Gegenteil. Bitte lassen Sie keine Einzelheiten aus.“
„Ein paar Details muss ich zwangsläufig auslassen, weil der Fall inzwischen eine recht pikante Dimension angenommen hatte durch die involvierten hochrangigen Personen, die immer noch einen Ruf zu verlieren haben. Kurzum - ich konnte herausfinden, dass besagte Dame nicht zum ersten Mal einen Diebstahl begangen hatte. Es schien für sie eine Art Zwang zu sein, Dinge mitgehen zu lassen. Da ihr Ehemann in Gesellschaftskreisen sehrbekannt ist, habe ich ein Gespräch unter vier Augen mit ihm gesucht und ihm klargemacht, dass ich den Jungen vor Gericht verteidigen werde, wenn er seine Anzeige nicht zurückzöge. Dabei wäre es unvermeidlich gewesen, das Verhalten seiner Frau offen zu legen, um die Unschuld des Jungen beweisen zu können. Und ich hätte alle Register gezogen, um dies zu tun. Meine Argumente haben ihn schließlich überzeugt. Er nahm die Anzeige zurück und wollte mir schließlich unbedingt auch noch die Auslagen für den Diebstahl erstatten. Im Gegenzug habe ich ihm mein Ehrenwort gegeben, die Neigung seiner Frau niemandem gegenüber zu erwähnen.“
„Aber der Junge und seine Eltern wussten doch Bescheid über den Diebstahl und hätten es weiter erzählen können, um den
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