Seine einzige Versuchung
wahr und legte den Arm um sie. Martha sah sich bestätigt, konnte aber nicht umhin, noch ein paar Worte mit Elli unter vier Augen zu sprechen.
„Wir sind beide nah am Wasser gebaut, und Elli ist wie eine Tochter für mich - darum fällt uns der Abschied so schwer. Gehen Sie doch schon mal vor, wir kommen dann gleich nach.“ Mit diesen Worten lotste sie Benthin geschickt aus ihrem Reich, um Elli noch einmal zu umarmen und ihr einen allerletzten Rat mit auf den Weg zu geben, den sie ihr leise ins Ohr flüsterte:
„Sei tapfer in der Hochzeitsnacht.“ Elli wusste nicht, wie sie auf diese unerwartete Äußerung reagieren sollte und nickte nur unbestimmt. Ihr Blick verriet ihre Unwissenheit und Verunsicherung. Dies war nicht Marthas Absicht gewesen, doch nun blieb keine Zeit mehr, Ellis unausgesprochene Fragen zu beantworten. Martha setzte all ihre Hoffnungen darauf, Benthin möge so behutsam mit Elli umgehen wie es ihr gebührte. Sie traute ihm das notwendige Einfühlungsvermögen zu. Zugleich ärgerte sie sich wieder einmal über die Gattin ihres Arbeitgebers, die es gemäß ihrem puritanischen Erziehungsstil offensichtlich nicht für notwendig befunden hatte, Elli wenigstens andeutungsweise davon in Kenntnis zu setzen, was sie in der Hochzeitsnacht erwartete.
Beide Frauen eilten nun nach draußen, wo die Kutsche längst bereitstand, ebenso wie alle, die dem Paar zum Abschied zuwinken wollten. Lediglich Benthin und der Professor fehlten noch. Sie kamen soeben von der Hinterseite des Hauses um die Ecke, da sie anscheinend noch einen kurzen Abstecher in den Garten gemacht hatten. Elli sah, wie ihr Vater Benthin die rechte Hand reichte und ihm dabei zugleich mit der Linken freundschaftlich auf die Schulter klopfte. Schließlich umarmte er seinen Schwiegersohn und sprach leise zu ihm. Benthins Miene verfinsterte sich schlagartig für einige Augenblicke, dann schien er etwas zu antworten und erwiderte seinerseits das Schulterklopfen. Elli beobachtete diese merkwürdige Szene und fühlte sich noch beunruhigter als sie es ohnehin schon durch Marthas rätselhafte Bemerkung war. Sie wollte der Sache auf den Grund gehen. Es schien ihr, als würde man etwas vor ihr geheim halten.
„Was hast Du eben zu Benthin gesagt?“, fragte sie ihren sichtlich gerührten Vater leise, als er sie als letzter in der Reihe fest zum Abschied umarmte.
„Dass er gut auf Dich aufpassen soll. Ich kann es ja nun nicht mehr“, gab er ihr mit zittriger Stimme ebenso leise zu verstehen. Elli schluckte - so kannte sie ihren Vater nicht. Er war ihr immer überaus stark erschienen und tat sich nun so schwer, sie gehen zu lassen.
„Wir besuchen Euch bald!“, rief sie nun in die Runde und ließ sich von ihrem Mann in die Kutsche helfen. Sie winkte, bis die Zurückbleibenden nur noch kleine Punkte waren. Der Gedanke an Benthins Gesichtsausdruck ließ sie nicht mehr los. Warum sollte ihn die - väterlicher Besorgnis entspringende - Aufforderung, gut auf sie aufzupassen, derart verstimmt haben? Und was hatte es mit dem Brief von dieser Greta auf sich? Warum hatte Martha sie aufgefordert, in dieser Nacht tapfer zu sein? Elli wollte ihn nicht noch verdrießlicher zu stimmen, als er es ohnehin schon zu sein schien und unterließ es, ihn zu fragen. Sie war zu aufgewühlt von den Geschehnissen und unsicher angesichts des Unbekannten, das sie erwartete.
Benthin sprach keine Silbe während der Fahrt in die Stadt. Er unternahm auch keine Versuche, sich Elli zu nähern so wie noch am Nachmittag, als er jede sich bietende Gelegenheit sofort genutzt hatte, um sie zu küssen. Seine Distanziertheit setzte sich fort, als sie in seinem Stadthaus eintrafen und er sich an der Tür des für sie hergerichteten Schlafzimmers mit einem förmlichen Handkuss zur Nachtruhe von ihr verabschiedete. Den Rest des Hauses würde er ihr - so hatte er mit einem Hinweis auf seine Müdigkeit versprochen - am nächsten Morgen bei Tageslicht zeigen. Elli fand die Kisten mit ihren Sachen vor, die bereits am Morgen in Benthins Haus gebracht worden waren und zog ein Nachthemd heraus. Sie war ebenfalls sehr müde von dem anstrengenden Tag, so dass sie nur noch ihr Kleid auszog und sich das Nachthemd rasch überwarf. An einer bereitstehenden Waschschüssel putzte sie sich geschwind die Zähne, wusch ihr Gesicht und löste ihr kunstvoll für das Fest hochgesteckte Haar, um dann erschöpft in das frisch bezogene, angenehm federnde Bett zu fallen. Ihre Überlegungen, weshalb Martha sie auf
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