Seine einzige Versuchung
Schwiegertochter gegenüber. Elli war froh, ihn nun in ihrer Verwandtschaft zu wissen und begann ihn schon jetzt zu vermissen, da seine Abreise unmittelbar bevorstand. Während er Elli aus seinen lebhaften Augen zuzwinkerte, legte er seinem Sohn zum Abschied mit einem väterlichen Kniff in die Wange nahe:
„Kümmere Dich gut um Deine fabelhafte, entzückende kleine Frau!“
„Das werde ich. Gute Reise, Vater, und hoffentlich auf bald!“ Er klang ein wenig wehmütig, da sich nur selten die Gelegenheit ergab, seinen Vater zu sehen, der nicht mehr der Jüngste war.
„Ich vermisse ihn jetzt schon“, formte Elli die Worte, die ihm so schwerfielen. „Er ist ein wunderbarer alter Herr. Vielleicht wirst Du später auch so wie er…“ Unbeabsichtigt hatte sie Benthins Schlagfertigkeit angestachelt:
„Ach ja? Findest Du mich jetzt noch nicht wunderbar? Alt bin ich ja schon…“, entgegnete er zu ihrer Überraschung mit einem seiner - für ihn typischen - Blicke ironischer Amüsiertheit. Elli hatte sich so danach gesehnt, endlich wieder auf diese Art von ihm angesehen zu werden und eine seiner lässig vorgetragenen, herausfordernden Bemerkungen zu hören, dass es ihr die Sprache verschlug.
„Hat es Dir die Sprache verschlagen?“, traf er ins Schwarze, nicht ahnend, wie es ihr erging. Zugleich genoss er seinerseits das kleine entstandene Wortgemetzel.
„Es ist alles so neu für mich - ich fürchte, meine Schlagfertigkeit ist noch nicht ganz hier angekommen“, entgegnete sie nun zu seiner Verwunderung mit weniger Biss als sonst.
„Ja, ich sollte rücksichtsvoller mit Dir umgehen - dies alles muss eine ziemliche Umstellung für Dich sein. Für mich ist die Situation ebenfalls nicht ganz einfach…Ich…“ Er machte eine unbestimmte Geste in ihre Richtung, als wolle er sie streicheln und wage es doch nicht. Elli hatte den Eindruck, er wollte noch etwas Wichtiges sagen, was die Veränderungen in ihrer beider Leben betraf und wartete ab, ob er seinem abgebrochenen Satz noch etwas hinzufügen würde. Da er nichts dergleichen tat, schlug sie vor, er möge ihr sein Hauspersonal vorstellen. Er schien erleichtert über die Ablenkung von dem schwierigen Thema, das er soeben angeschnitten hatte.
Da es sich um einen recht überschaubaren Haushalt handelte, gab es entsprechend wenig Personal. Da war zum einen die Haushälterin und zugleich Köchin Frau Roth - Benthin sprach sein Personal nie mit Vornamen an. Sie kam bislang nur jeden zweiten Tag, da Benthin unter der Woche ohnehin meistens auswärts aß und nicht allzu viel Wäsche und Reinigungsarbeiten anfielen. Neben Benthins Haushalt hatte sie noch einen weiteren entgeltlich zu versorgen, um zum Lebensunterhalt ihrer Familie etwas beisteuern zu können. Ihr Mann hatte nach dem unfreiwilligen Ausscheiden aus seiner ursprünglich gut bezahlten handwerklichen Tätigkeit, die nun von Maschinen ersetzt wurde, eine Arbeit in der Fabrik annehmen müssen, wo er unter schlechteren Bedingungen deutlich weniger verdiente. Ohne den Zuverdienst seiner Frau hätte das Geld für die Familie nicht mehr gereicht. Benthin zahlte gut und behandelte Frau Roth respektvoll, wenngleich er keine persönliche Nähe zu seinen Angestellten aufzubauen pflegte wie es für Elli selbstverständlich war. Elli begrüßte Frau Roth freundlich und bot an, ihr gerne helfend zur Seite zu stehen, da ab sofort schließlich mehr Arbeitsaufwand auf sie zukam. Die Haushälterin nahm diese Geste wohlwollend zur Kenntnis. Insgeheim hatte Frau Roth nicht ausgeschlossen, die neue Frau im Haus könne vielleicht eine unangenehme Person sein, die womöglich Gefallen daran fand, erst einmal neue Saiten aufzuziehen. Erfreut stellte sie fest, dass die Wahl ihres Arbeitgebers auf eine sehr offene, zuvorkommende junge Frau gefallen war, die sie auf Anhieb mochte. Ihre Art, Unterstützung anzubieten, war nicht aufdringlich, sondern offenbar freundlich gemeint, auch wenn es Frau Roth nicht unbedingt angemessen für eine Dame von Ellis Stand vorkam, sich mit niederen Tätigkeiten zu befassen.
Daneben gab es noch Benthins etwas farblosen, aber sehr pflichtbewussten Sekretär Blöhm. Dieser hielt sich an den Arbeitstagen zur Erledigung notwendiger Büroarbeiten im Erdgeschoss auf, wo sich neben der Küche, einem Hauswirtschaftsraum und einer separaten Toilette das Büro und eine Bibliothek befanden, die zugleich zum Empfang von Benthins Mandanten diente. Blöhm saß vor einem Stapel Akten und hatte offensichtlich alle
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