Seine einzige Versuchung
zu sein. So überreichte er den Brief seinem Sohn gleich bei seiner Ankunft nach einer herzlichen Umarmung. Elli konnte Benthins Lächeln in seinem Gesicht wiedererkennen, ebenso seine Gesten - sie waren sich trotz des Altersunterschiedes in mancherlei Hinsicht sehr ähnlich. Der ältere Herr war ihr auf Anhieb sympathisch. Ihrer Aufmerksamkeit entging nicht, wie Julius von Benthin leicht irritiert eine Augenbraue hob, als ihm sein Vater den Umschlag mit den Worten überreichte:
„Den hat Greta mir für Dich mitgegeben - ein Hochzeitsgruß vom Personal.“
„Danke. Es ist schön, dass Du den weiten Weg auf Dich genommen hast, Vater“, versuchte Benthin abzulenken. Zugleich steckte er den Umschlag wohlweislich in die Innentasche seines eleganten Sakkos. Er wollte den Inhalt lieber später alleine lesen und hoffte, man würde ihm die leichte Verlegenheit, die Gretas Name in ihm hervorrief, nicht anmerken. Elli war der eigenartige Ausdruck, der für einen Moment über Benthins Gesicht gehuscht war, jedoch nicht entgangen. Sie konnte sich allerdings keinen Reim darauf machen und kam rasch davon ab, weiter darüber nachzudenken, da weitere Gäste ihre Aufmerksamkeit verlangten.
Wie so oft hatten die Brautleute von der ganzen Feier am wenigsten. Beide bekamen die unzähligen Eindrücke wie im Rausch mit, während sie zugleich dafür Sorge tragen mussten, dass sie jedem Gast die gebührende Aufmerksamkeit entgegenbrachten. Für ihren Geschmack hatten sie viel zu wenig Gelegenheit, gemeinsam zu tanzen, da sich natürlich kaum ein männlicher Gast die Gelegenheit entgehen ließ, die reizende Braut aufzufordern. In einem unbeobachteten Moment gelang es Benthin, Elli alleine im Gang abzupassen und sie endlich wieder zu küssen. Hand in Hand gingen beide mit vielsagenden Blicken zurück zur Hochzeitsgesellschaft. Jeder konnte sehen, dass sie sich nahe standen und anscheinend aufrichtige Zuneigung empfanden. Manche nahmen es mit großer Freude wahr, andere mit gemischten Gefühlen, denn eine große Anzahl von Ehen war immer noch aus praktischen Gründen geschlossen worden. Auch wenn das Ideal einer Liebesheirat sich mehr und mehr durchzusetzen begann, war es in diesen Kreisen nach wie vor nicht unbedingt üblich, da Standesfragen immer noch überwogen.
Elli und Benthin freuten sich nach all der Aufregung auf die ersehnte Ruhe und Zweisamkeit. Am späten Abend schließlich verabschiedeten sie sich. Elli war es ein besonderes Anliegen, Martha noch einmal zu sehen und sie zum Abschied zu umarmen, würde sie doch zukünftig nicht mehr an ihrem munteren Treiben in der Küche teilhaben können. Auch die Gespräche mit der Köchin würden ihr fehlen. Es war kaum anzunehmen, dass sie in Benthins Haushalt sofort mit derselben Herzlichkeit vom Personal behandelt wurde wie sie es aus ihrem Elternhaus kannte. Trotz der intensiven Gefühle für ihren Ehemann - diese Bezeichnung war ihren Gedanken noch wenig vertraut - wurde ihr nun das Herz ein wenig schwer, als der Zeitpunkt näher rückte, das Haus mit dem lieb gewonnenen Garten und die vertrauten Menschen zu verlassen, um für immer mit Benthin in die Stadt zu gehen. Noch mehr als Elli ging es Martha zu Herzen, dass nun das Ende ihres Lieblingsschützlings in diesem Haus näher rückte. Viel Zeit blieb nicht mehr, um sich ausgiebig zu verabschieden.
„Komm‘ mich ja regelmäßig besuchen, mein Mädchen“, ermahnte Martha Elli nun unter Tränen und drückte sie fest an ihren fülligen Leib.
„Er ist ein guter Mann, aber ich wünschte trotzdem, Du könntest noch hierbleiben…“, seufzte sie schwermütig.
„Ich komme ganz bestimmt oft zu Besuch. Sein Haus ist ja nicht so weit von hier“, beruhigte Elli die Köchin.
„Du strahlst so als ob es Dir gar nichts ausmacht, von hier zu gehen, dabei bist Du noch so jung!“
„Ich bin einundzwanzig, Martha! Aus der Sicht meiner Mutter schon fast eine alte Jungfer…“, lachte Elli nun.
„Nun hat sie ja endlich erreicht, was sie wollte. Liebst Du ihn denn wirklich?“
„Aber ja! Du kennst mich doch - ich würde nie einen Mann heiraten, wenn ich es nicht wirklich wollte! Aber vermissen werde ich Dich trotzdem…“ Nun musste auch Elli schlucken und mit den Tränen kämpfen.
„Er wird gut für Dich sorgen. Er liebt Dich - so was sehe ich!“
„Elli, kommst Du?“, wurden sie unterbrochen. Benthin hatte die Küche betreten, um Elli zu holen. „Ist alles in Ordnung mit Dir?“ Besorgt nahm er die Tränen in ihren Augen
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