Seine einzige Versuchung
Hochzeitsfeier in Ellis Elternhaus statt. Wäre es alleine nach dem Brautpaar gegangen, hätte eine kleine Feier im engsten Kreis vollkommen ausgereicht. Die lange Planungszeit ermöglichte den beiden immerhin, sich noch etwas besser kennenzulernen und brachte eine Vertiefung ihrer Bindung mit sich. Ihr Gefallen aneinander bestätigte sich bei jeder weiteren Begegnung aufs Neue und untermauerte wiederum ihre Heiratsabsichten. Beide waren sich einig, nicht unmittelbar nach der Hochzeit eine Reise zu unternehmen, auch wenn Ellis Mutter der Meinung war, eine Hochzeitsreise gehöre unbedingt dazu. Doch in diesem Punkt setzten sich Elli und Benthin durch. Elli beabsichtigte, nach der Hochzeit zunächst die neue Umgebung kennenzulernen, in der sie zukünftig mit Benthin leben würde. Er hatte durch die regelmäßigen Besuche bei Elli seine Arbeit in den letzten Wochen vernachlässigt, so dass ihn nach den Feierlichkeiten größere Mengen an liegen gebliebenen Aufgaben erwarteten. Für eine Hochzeitsreise erschien beiden daher ein späterer Zeitpunkt besser geeignet.
Wie nicht anders zu erwarten, war Ellis Mutter völlig aus dem Häuschen je näher die Feierlichkeiten rückten, ebenso wie Ellis Schwestern. Frau Preuß und die beiden jüngeren Töchter hofften gleichermaßen, durch den neuen Verwandten Zugang zu weiteren Männern aus dessen Kreisen zu bekommen. Dabei hatten sie natürlich vorzugsweise wohlhabende Heiratskandidaten adeliger Herkunft im Sinn. Da Benthin eher zurückgezogen lebte, wurde ihre Hoffnung auf eine hübsche Auswahl hochrangiger Junggesellen jedoch getrübt. Von seiner Seite kamen nur wenige Gäste. Einige entfernte Verwandte lebten seit Jahren im Ausland, und man hatte kaum Kontakt. Die Zweige seines Familienstammbaumes hatten sich ohnehin nie besonders weit ausgedehnt, da etliche Angehörige früh verstorben waren und es nur noch wenige Nachkommen gab. Sein Vetter, zu dem er als Kind einen sehr engen und freundschaftlichen Kontakt gehabt hatte, konnte leider nicht zur Hochzeit erscheinen, da er sich mit seiner Ehefrau auf einer längeren Überseereise befand. Neben einigen befreundeten Kollegen und einer Handvoll Verwandter, die er mehr aus Pflichtgefühl einlud, waren ihm die Anwesenheit seines mittlerweile recht betagten Vaters und seines Freundes Gerlach am wichtigsten. Gerlach war immerhin derjenige gewesen, der den Stein ins Rollen gebracht hatte, wenn auch unter anderen Vorzeichen. Er war bass erstaunt, als Benthin ihm so kurze Zeit nach seinem Rat, sich eine Frau zu suchen, mitteilte, er werde heiraten. Er selber war überzeugter Junggeselle und konnte sich ein Leben an der Seite einer Frau nicht vorstellen. Ihm entgingen die Versuche von Ellis hübschen Schwestern, mit ihm anzubändeln, natürlich nicht. Nichtsdestotrotz hatte er keinerlei Ambitionen, an seinem freien Leben etwas zu ändern. So ließ er sich im Umgang mit Frauen im heiratsfähigen Alter nie auf eine Form von Kontakt ein, die zu ernsthaften Hoffnungen bei den betreffenden Damen geführt hätte.
Besonders froh war Benthin, Elli mit seinem Vater bekannt zu machen. Sie war ihm früher bereits einmal begegnet, konnte sich aber nicht mehr an ihn erinnern. Damals war sie gerade einmal sechs Jahre alt gewesen, als Benthin Senior mit seinem Sohn bei ihrem Vater erschienen. Da die beiden Väter sich kannten, hielt Benthin Senior es für angemessen, seinen Sohn einem für seinen guten Ruf bekannten Dozenten - Ellis Vater - anzuvertrauen, für den er noch dazu menschliche Sympathie hegte. Dass sein Sohn nun dessen Tochter zur Frau nehmen wollte, erfreute ihn ganz besonders. Obwohl die Gesundheit des alten Benthin nicht mehr in allerbester Verfassung war, hatte er die weite Reise auf sich genommen. Nichts konnte ihn davon abhalten, an der Hochzeit seines einzigen, geliebten Sohnes, dessen Mutter viel zu früh gestorben war, teilzunehmen. Er lebte nach wie vor mit Greta zusammen - in stiller Übereinkunft, nichts an ihrem Arrangement zu ändern. Gleichwohl machte ihre unkonventionelle Art des Zusammenlebens es unmöglich, dass er mit Greta an seiner Seite zur Hochzeitsfeier erscheinen konnte.
Bis zum heutigen Tag hatte Greta nie ihr Geheimnis preisgegeben, und auch jetzt hatte sie ihn lediglich gebeten, seinem Sohn persönlich einen Gruß vom langjährigen Personal in einem versiegelten Umschlag mitzubringen. Sie wusste, dass Benthin Senior niemals den Umschlag heimlich öffnen würde, zumal er auch keinen Grund hatte, misstrauisch
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