Seine einzige Versuchung
Ehrenmann !“ Der herablassende Unterton in seiner Stimme ließ Elli vermuten, dass er nicht wirklich meinte, was er sagte. Doch dieses Thema war ihr zu heikel, um es mit einem völlig Fremden zu vertiefen. Fremd? Warum kam ihr dieser Mann wie jemand vor, den sie schon deutlich länger als ein paar Minuten kannte? Doch tatsächlich wusste sie noch nicht einmal seinen Namen.
„Da Sie ja bereits wissen, wer ich bin, würde ich dasselbe auch ganz gerne von Ihnen erfahren.“
„Hoppla, schon wieder gegen die Umgangsformen verstoßen! Darf ich mich vorstellen: Oberstleutnant Richard Kabus, zweiter Kommandant der Garnison.“
„Sehr erfreut!“, erwiderte Elli nun in formvollendeter Manier. „Und Sie waren es, der sich an den städtischen Frauenverein gewandt hat, um wegen Kleiderspenden für Ihre Soldaten anzufragen?“
„Nein, das war der erste Kommandant, den ich zurzeit vertrete, da er einer Verpflichtung im Ausland nachkommen muss. Leider hat er es vor seiner Abreise versäumt, mich von dieser Angelegenheit in Kenntnis zu setzen, aber ich werde mein Bestes geben, um einer so anziehenden und unterhaltsamen jungen Frau zur Seite zu stehen.“ So leicht ließ Elli sich nicht von seinen galanten Worten um den Finger wickeln.
„Sie sollen ja nicht mir helfen. Schließlich bin ich hier im Namen des Frauenvereins. Wenn Sie mir allerdings ein paar Hinweise geben könnten, was genau benötigt wird, wäre das für meine Arbeit wirklich hilfreich.“
„Tja, edelmütig, ganz wie der Herr Gemahl. Der Name Benthin steht für Nächstenliebe .“ Allmählich begann Elli sich zu fragen, was seine ständigen Sticheleien zu bedeuten hatten. Sie beschloss, einfach nicht darauf einzugehen. Stattdessen fand sie Gefallen daran, ihn ebenfalls ein wenig zu provozieren. Er wirkte wie jemand, der es verkraften könnte:
„Wenn ich mich hier so umsehe, frage ich mich ernsthaft, warum Ihre Truppen Kleiderspenden benötigen, während man hier in der Verwaltung offenbar mit Geld geradezu um sich wirft.“
„Oha! Sie ist nicht nur eine überaus anmutige Person, sondern hat auch noch eine eigene, überaus kritische Meinung - eine interessante Kombination!“ Wieder ertönte sein mitreißendes Lachen. Das Gespräch bereitete ihm offensichtlich großes Vergnügen, wie Elli feststellte. Sie schwankte zwischen Ärger über seine mangelnde Ernsthaftigkeit und dem Gefühl, von seiner saloppen Art angesteckt und mitgerissen zu werden.
„Mir scheint, Ihnen fehlt der nötige Ernst für diese Angelegenheit. Vielleicht hat Ihr erster Kommandant etwas zu viel Vertrauen in Ihre Qualitäten als sein Vertreter.“ Das war zugegebenermaßen eine sehr gewagte Provokation, doch der Mann schien einen ruppigen Umgangston gewohnt zu sein.
„Mein lieber Schwan! Das nenne ich mal schlagfertig. Ihr Mann hat es wohl nicht leicht mit Ihnen, was?“, zwinkerte er ihr nun zu. „Nun kommen Sie mal mit in mein Büro. Dann versuche ich, Ihre Fragen so gut wie möglich zu beantworten. Darf ich Sie die Treppe hinaufbitten?“ Er deutete auf die gegenüberliegende Treppe und ging gemeinsam mit ihr hoch, wobei er dicht hinter ihr blieb. Im Hochgehen fragte er:
„Sagen Sie mal, warum haben Sie sich eigentlich auf die Treppe und nicht auf eine der Bänke gesetzt? Das wäre doch wohl bequemer gewesen… und auch etwas damenhafter, oder etwa nicht?“
„Wollen Sie damit zum Ausdruck bringen, dass es sich für eine Dame nicht schickt, auf der Treppe zu sitzen?“
„So, jetzt links abbiegen“, er berührte kurz ihre Schulter, um sie in die Richtung zu lenken, die es am Ender der Treppe einzuschlagen galt, und redete dabei unaufhörlich weiter: „Sie müssen doch wohl zugeben, dass es ungewöhnlich ist, sich auf die Stufen zu setzen. Jetzt nochmal nach links, bitte, und gleich wieder rechts.“ Wieder schob er sie mit einer beiläufigen Berührung in den nächsten und in den nachfolgenden Gang bis sie endlich vor einer Tür standen, die anscheinend in sein Büro führte. Er griff an ihr vorbei, um zu öffnen und lenkte sie in den Raum. Es handelte sich nicht um das erwartete Büro, sondern vielmehr um einen Konferenzsaal mit einem wuchtigen, blank polierten Tisch, der offensichtlich aus einem sehr edlen Holz gefertigt und von zahlreichen luxuriösen Sesseln umgeben war. Das Büro lag am Ende des Saals und war verschlossen. Nachdem er die Tür geöffnet hatte, rückte er einen Sessel für Elli am Schreibtisch zurecht und bat sie, Platz zu nehmen. Wie alles
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