Seine einzige Versuchung
er dies inzwischen schon. Aufgewühlt von diesen schlimmen Befürchtungen, fühlte Elli sich umso mehr bewogen, ihren eingeschlagenen Weg mit aller Kraft weiter zu gehen. Hier würde sie Anerkennung und die Zufriedenheit finden, die ihr im Privatleben anscheinend versagt bleiben sollten. Sie zwang sich, eine Strategie zu überlegen, wie sie ihre Aufgabe, Kleiderspenden an Soldatenfamilien zu organisieren, am besten umsetzen könnte. Am geschicktesten würde es sein, wenn sie direkt Erkundigungen in der Garnison einholte, an welchen Sachen genau es am meisten mangelte. Sie wollte sich am nächsten Vormittag an den Kommandanten wenden und um eine genaue Aufstellung bitten, was benötigt wurde.
Benthin kam erst am späten Abend heim, als Elli längst schlafen gegangen war. Die Sitzung war alles in allem recht gut für ihn verlaufen. Er hatte trotz seiner Anspannung offenbar überzeugend gewirkt und einige Skeptiker auf seine Seite bringen können. Der Erfolgsrausch ließ ihn trotz heftiger Erschöpfung erst in den frühen Morgenstunden einschlafen, so dass er noch nicht aufgewacht war, als Elli bereits zur Garnison aufbrach. Sie traf Blöhm unten im Gang, der sich wunderte, wo Benthin blieb, da er sonst um diese Zeit längst arbeitete. Elli konnte ihm nicht weiterhelfen. Sie war ihrerseits verwundert und fragte sich, wann er nach Hause gekommen sein mochte. Warum war es so spät geworden, dass er an diesem Morgen verschlafen hatte? War er am Ende noch gar nicht wieder zu Hause? Sich gehen zu lassen, entsprach nicht annähernd seinem Pflichtbewusstsein. Eigentlich wollte sie die Gründe für seine Abwesenheit lieber gar nicht so genau wissen. Daher vermied sie es, den redseligen Paulsen zu bitten, sie zur Garnison zu fahren, sondern lief ein paar Straßen weiter zu einem öffentlichen Droschkenplatz. Der Kutscher setzte sie vor dem imposanten Hauptverwaltungsgebäude des riesigen, sorgfältig umzäunten Militärgeländes mit zahlreichen Kasernen und anderen militärischen Einrichtungen ab. Elli hoffte, den Kommandanten anzutreffen. Sie hatte ihr Kommen schließlich nicht angekündigt. Der direkte Weg erschien ihr am erfolgversprechendsten, und irgendein Ansprechpartner würde sich schon auftreiben lassen. Das gigantische Gebäude wirkte auf Elli beinahe einschüchternd. Doch davon ließ sie sich nicht abbringen, ihr Ziel zu verfolgen. Über die mächtige Steintreppe erreichte sie ein Portal mit Säulen und drang in die achtunggebietend große Eingangshalle vor, wo sie von einem unfreundlichen Wachposten wie ein feindlicher Eindringling in Empfang genommen wurde. Hier erwartete man höchstens militärischen Besuch und keinesfalls eine junge Frau. Elli stellte sich vor und erklärte kurz, worum es ging. Dann bat sie darum, den Kommandanten sprechen zu dürfen, der sich mit seinem Anliegen an den Frauenverein gewandt hatte. Leider fiel ihr erst jetzt auf, dass sie es versäumt hatte, seinen Namen in Erfahrung zu bringen, was im Umgang mit dem übellaunigen Wachposten vermutlich hilfreich gewesen wäre. Dieser beäugte sie nur misstrauisch und rief nun widerwillig einen anderen Wachmann herbei, der Ellis Anliegen an die zuständige Abteilung melden sollte. Da er offensichtlich nicht gewillt war, ein Gespräch oder irgendeine andere entgegenkommenden Geste an den Tag zu legen, schritt Elli ein wenig in der gewaltigen Halle auf und ab, nachdem sie eine Weile schweigsam herumgestanden war. Sie wunderte sich über die verschwenderische Ausstattung des Verwaltungsgebäudes. Als sie sich der breiten Marmortreppe näherte, die in das nächste Stockwerk führte, forderte der Wachmann sie übellaunig auf, sich von dort fern zu halten und in der Nähe des Eingangsportals zu warten. Elli spürte, wie sie langsam aber sicher ungehalten wurde. Was sollte sie schon anstellen, wenn sie in der Nähe der Treppe wartete? Außerdem ärgerte sie sich über die maßlose Verschwendung in diesem Gebäude, während es dem Militär sonst an allen Ecken und Ende zu fehlen schien. In dieser Stimmung wurde sie schließlich von dem zweiten Wachmann zur Treppe gerufen. Elli konnte es sich nicht verkneifen, dem verdrießlichen Wachposten noch einen triumphierenden Blick zuzuwerfen. Am Ende der Treppe erstreckte sich eine weitere Halle, von der aus jeweils zur rechten und zur linken Seite abermals zwei breite Marmortreppen in andere Gebäudetrakte führten. Zwischen den Treppen lag eine freie Fläche von der Größe eines Tanzsaales. Am Rand waren
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