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Seine einzige Versuchung

Seine einzige Versuchung

Titel: Seine einzige Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ann Westphal
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Gedanken mehr fassen. Dabei musste er doch am heutigen Abend funktionieren, exzellente Präsenz zeigen und argumentative Überzeugungskraft leisten - es ging schließlich um seine Wahl in den Magistrat. Kurzentschlossen entschuldigte er sich knapp bei Elli, er müsse noch einmal kurz weg, sei dann zum Abendessen aber wieder da, bevor er zur Sitzung aufbreche. Da er sehr in Eile schien, mochte Elli ihn nicht fragen, wohin er gehen wollte. Sie konnte nur sehen, dass es ihm nicht gut ging. Er sah blass und übermüdet aus, was sie nicht weiter verwunderte bei seinem Arbeitspensum. Sie würde versuchen, ihm beim Abendessen nahezulegen, besser auf sich aufzupassen. Ihr Bericht vom Frauenverein würde noch bis morgen warten können, auch wenn sie es kaum erwarten konnte, endlich mit jemandem darüber zu sprechen.
    Benthin wirkte weniger angespannt, als er schließlich zum Abendessen im Speisezimmer erschien. Er war so in Gedanken, dass er völlig vergaß, etwas zu essen und Ellis Worte nicht zu ihm durchdrangen.
    „Entschuldigung, was sagtest Du gerade?“, fragte er abwesend.
    „Du isst ja gar nichts - ist alles in Ordnung mit Dir?“
    „Ja, ja, ich bin in Gedanken schon bei der Sitzung. Heute kommt es darauf an. Ich muss gut vorbereitet sein. Eigentlich habe ich gar keinen Hunger.“
    „Bitte versuch‘ doch wenigstens etwas zu essen. Ich fange an, mir Sorgen zu machen.“
    „Das brauchst Du nicht. Es ist alles in bester Ordnung“, versuchte er sie zu beruhigen. Ihm stand gerade überhaupt nicht der Sinn nach einer Diskussion, in der sie ihm womöglich wieder vorhalten würde, wie viel er arbeite. Auch wenn sie damit Recht hatte, konnte er im Moment keine Gespräche dieser Art gebrauchen. Die nun folgende Feststellung Ellis stimmte ihn ärgerlich:
    „Wo warst Du eigentlich vor dem Essen? Eine Pause hätte Dir bestimmt ganz gut getan.“
    „Vielleicht habe ich ja eine Pause gemacht ?!“, gab er gereizt zurück. „Bitte lass‘ mich einfach meine Arbeit erledigen.“ Damit verließ er den Raum, um sich für die Versammlung umzukleiden. Ellis Stimmung hatte sich rapide verschlechtert. Sie konnte zwar Verständnis für seine Anspannung aufbringen, da dieser Abend von besonderer Bedeutung für seine politischen Bemühungen war. Dennoch gab es keinen Grund, sich so aufzuführen, zumal sie wieder einmal ihre Bedürfnisse zurückgesteckt hatte und nur um sein Wohlergehen besorgt war. Statt ihr eine derartige Abfuhr zu erteilen, hätte sie es für angemessen befunden, wenn er seine Sorgen mit ihr geteilt hätte. Oder hatte er das etwa schon mit jemand anderem getan? Wo war er gewesen? Er hatte nach seinem plötzlichen Verschwinden entspannter gewirkt und verhielt sich dennoch so abweisend wie nie zuvor. Wochen waren vergangen, seit Elli sich zuletzt mit dem Gedanken gequält hatte, was es mit der rätselhaften Frau im Park auf sich haben könnte. Nun kamen die verdrängten Zweifel an ihm wieder hoch. Alle, denen sie bislang begegnet war, lobten ihren Mann in den höchsten Tönen, und doch schien er etwas vor ihr zu verbergen. Ihr kam es vor, als habe er zwei Seiten in sich: da war seine von allen hoch geschätzte, selbstlose Art, sich für benachteiligte Menschen einzusetzen, aber zugleich gab es etwas Verborgenes, Dunkles in ihm, das niemand außer ihr wahrzunehmen schien. Alles Hirngespinste! schalt sie sich. Sie wollte sich nach diesem erfolgreichen Tag nicht weiter von diesen düsteren Gedanken herabziehen lassen und besann sich wieder auf die vielen guten Dinge, die sie über ihn gehört hatte. Ganz besonders ihr Vater konnte sich nicht so in einem Menschen getäuscht haben, mit dem er jahrelang befreundet war. Und doch kam ihr ausgerechnet jetzt geradezu lebhaft das Bild von Benthins finsterer Miene in den Sinn, als der Professor mit ihm vertraulich am Abend der Hochzeit gesprochen hatte. Dann erinnerte sie sich wiederum an seine überwältigende Zärtlichkeit und die Leidenschaft, die er für sie empfunden zu haben schien und die nun wie weggewischt war. Hatte er alles nur gespielt, und sie war ihm in ihrer Naivität erlegen? Begehrte er nicht vielmehr eine Frau in seinem Alter, die ihm das Wasser reichen konnte? Waren seine wundervollen Komplimente nur einstudierte Verführungsfloskeln gewesen, seine begehrenden Blicke reine Schauspielkunst? Aber warum hatte er sie unbedingt heiraten wollen? Sie war doch keine wirklich gute Partie für ihn. Er hatte deutlich unter seinem Stand geheiratet. Wahrscheinlich bereute

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