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Seine Exzellenz Eugène Rougon

Seine Exzellenz Eugène Rougon

Titel: Seine Exzellenz Eugène Rougon Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Emile Zola
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Staatsmänner mit
einer Redensart, sprang unvermittelt vom Norden nach dem Süden,
wühlte die Königreiche nachlässig mit den Fingernägeln auf, lebte
da wie zu Hause, als ob die weite Erde mit ihren
Städten und Bewohnern nur eine
Spielzeugschachtel sei, deren Inhalt sie nach Belieben ordne. Wenn
sie, vom Schwatzen erschöpft, schwieg, schnellte sie den Daumen
gegen den Mittelfinger, daß es knackte, eine bei ihr beliebte
Bewegung, die so viel heißen sollte als: alles das ist nicht das
Schnappen eines Fingers wert.
    Für den Augenblick lag ihr unter ihren zahllosen Beschäftigungen
besonders eine Sache von größter Wichtigkeit am Herzen, worüber sie
Stillschweigen beobachtete, ohne sich jedoch das Vergnügen gewisser
Anspielungen versagen zu könnten. Sie wollte Venedig. Wenn sie von
dem großen italienischen Minister sprach, nannte sie ihn
vertraulich nur »Cavour«. Sie setzte hinzu: »Cavour wollte es
nicht, aber ich wollte es, und er hat es eingesehen.« Sie schloß
sich morgens und abends mit dem Ritter Rusconi in der Botschaft
ein. Übrigens nahm »die Geschichte« jetzt einen guten Fortgang. Mit
unstörbarer Seelenruhe, ihre schmale Götterstirne zurücklehnend und
in einer Art Hellseherei redend, ließ sie unzusammenhängende Worte,
Bruchstücke von Geständnissen fallen: eine geheime Zusammenkunft
des Kaisers mit einem fremden Staatsmanne, den Entwurf eines
Bundesvertrages, von dem noch einige Artikel ins reine zu bringen
seien, Krieg im nächsten Frühjahre. An anderen Tagen war sie
wütend, gab den Stühlen in ihrem Zimmer Fußtritte und stieß die
Waschbecken um, daß sie schier zerbrachen; sie hatte den Zorn einer
Königin, die, von einfältigen Ministern verraten, ihr Reich immer
tiefer sinken sieht. An solchen Tagen streckte sie in tragischer
Haltung ihren nackten wundervollen Arm nach Südosten, nach Italien
aus und wiederholte: »Ah, wenn ich dort wäre, sollten sie gewiß
nicht solche Dummheiten machen!«
    Die Sorgen der hohen Politik hielten Clorinde nicht ab, auch
allerlei andere Geschäfte zu treiben, in denen sie sichschließlich selbst zu verlieren schien. Man fand sie
oft auf ihrem Bette sitzend, ihre riesige Mappe mitten auf der
Decke ausgeleert und die Arme bis zu den Ellbogen in einem
Papierhaufen vergraben, verwirrt, vor Wut weinend; sie fand sich in
diesem Wust von losen Blättern nicht mehr zurecht, oder auch sie
suchte irgendein verlegtes Aktenbündel, das sie endlich hinter
einem Schranke, unter ihren alten Stiefeln oder ihrer schmutzigen
Wäsche fand. Wenn sie ausging, um eine Angelegenheit zu erledigen,
leitete sie unterwegs zwei bis drei andere ein. Ihre Maßnahmen
verwirrten sich, sie lebte in beständiger Erregung und gab sich
einem Wirbelsturme von Gedanken und Tatsachen hin unter sich
unbekannten Tiefen und verwickelten, unergründlichen Ränken. Hatte
sie den ganzen Tag lang Paris durchlaufen und kehrte sie abends,
vom Treppensteigen wie zerschlagen, heim, mit den unerklärlichen
Gerüchen der verschiedenen Orte, die sie betreten hatte, in den
Falten ihrer Röcke, so hätte niemand die Hälfte der Geschäfte zu
ahnen gewagt, die sie nach allen Teilen der Stadt führten; wenn man
sie fragte, lachte sie und entsann sich nicht immer jedes
einzelnen.
    Um diese Zeit hatte sie den erstaunlichen Einfall, sich in einem
Separatzimmer eines der großen Boulevardrestaurants niederzulassen.
Ihr Haus, sagte sie, sei zu entlegen von allem, sie wolle ein
Absteigequartier inmitten der Stadt haben, und richtete dort ihr
Geschäftszimmer ein. Acht Wochen lang empfing sie dort, von den
Kellnern bedient, welche die höchsten Persönlichkeiten: Beamte,
Gesandte, Minister einführten. Sie ließ sie ganz gemächlich auf dem
von den letzten Gästen des Karnevals eingedrückten Diwan Platz
nehmen und blieb selbst vor dem Tische, der stets mit dem Tischtuch
bedeckt, mit Brotkrumen und Papieren überhäuft war. Sie saß da wie
ein General. Als sie eines Tages von einem Unwohlsein befallen
wurde, war sie ganz ruhig zu den
Dachzimmern hinaufgestiegen und hatte sich in der Kammer des
Haushofmeisters, der sie bediente, zu Bett gelegt. Es war ein
großer brauner Bursche, von dem sie sich umarmen ließ. Erst gegen
Mitternacht hatte sie eingewilligt heimzukehren.
    Delestang war trotz alledem glücklich; er schien die Launen
seiner Frau zu übersehen. Sie hielt ihn jetzt völlig in der Hand
und gebrauchte ihn nach ihrer Weise, ohne daß er sich nur erlaubt
hätte zu murren. Sein Wesen machte ihn zu

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