Seine Exzellenz Eugène Rougon
dieser Knechtschaft
geeignet. Er befand sich bei dieser Preisgabe seines eigenen
Willens zu wohl, als daß er sich je dagegen aufgelehnt hätte. Im
vertrauten Verkehre war er es, der morgens, wenn sie ihn bei sich
geduldet hatte, ihr beim Aufstehen allerlei kleine Dienste erwies,
überall unter den Möbeln die verlorenen und nicht zueinander
passenden Schuhe zusammensuchte und den ganzen Wäscheschrank
durchwühlte, bis er ein Hemd ohne Löcher fand. Es genügte ihm, vor
der Welt die Haltung des überlegenen und lächelnden Mannes zu
wahren. Man achtete ihn fast, mit so heiterer Miene und so
liebevollem Wohlwollen sprach er von seiner Frau.
Clorinde, zur allmächtigen Herrscherin geworden, hatte den
Einfall, ihre Mutter aus Turin zurückkehren zu lassen; sie
wünschte, daß die Gräfin Balbi in Zukunft die Hälfte jedes Jahres
bei ihr verbringe. Es war ein plötzlicher Ausbruch kindlicher
Zärtlichkeit. Sie stellte ein ganzes Stockwerk auf den Kopf, um die
alte Frau ihren eigenen Zimmern so nahe wie möglich unterzubringen.
Sie ließ sogar eine Verbindungstür zwischen ihrem Ankleidezimmer
und der Schlafkammer ihrer Mutter herstellen. Besonders in Rougons
Gegenwart gab sie ihrer Zärtlichkeit in italienisch übertriebenen
Schmeichelworten Ausdruck. Wie konnte sie sich nur darein finden,
so lange von der Gräfin getrennt zu leben,
sie, die ihre Mutter vor ihrer Heirat nie auch nur eine Stunde lang
verlassen hatte? Sie klagte sich der Hartherzigkeit an. Aber es war
nicht ihre Schuld, sie hatte sich Ratschlägen, vermeintlichen
Notwendigkeiten gefügt, deren Sinn sie noch jetzt nicht begriff.
Rougon kam angesichts dieser Laune nicht aus der Fassung. Er
schulmeisterte sie nicht mehr, bemühte sich nicht mehr, eine der
vornehmsten Frauen von Paris aus ihr zu machen. Früher hatte sie
die Leere seiner Tage ausfüllen können, als das Fieber seiner
Untätigkeit ihm das Blut entzündete und in seinen Gliedern eines
müßigen Kämpfers Begierden erweckte. Jetzt, da er mitten im Kampfe
stand, dachte er nicht sonderlich an solche Dinge; seine geringe
Sinnlichkeit war durch seine täglichen vierzehn Arbeitsstunden
aufgezehrt. Er behandelte sie auch ferner freundlich mit einem Zuge
jener Verachtung, die er den Frauen gewöhnlich bezeigte. Doch
hingen seine Augen von Zeit zu Zeit an ihr, während die alte, noch
immer nicht erloschene Leidenschaft in ihnen aufloderte. Sie blieb
sein Laster, das einzige Stück sündigen Fleisches, das seine Ruhe
störte.
Seit Rougon im Ministerium wohnte, wo seine Freunde ihn nicht
mehr im vertrauten Kreise treffen zu können klagten, war Clorinde
darauf versessen, sie bei sich zu empfangen. Allmählich wurde es
ihnen zur Gewohnheit. Um deutlicher hervorzuheben, daß ihre Abende
die Rougons ersetzen sollten, wählte sie dafür ebenfalls Sonntag
und Donnerstag. Nur daß man bei ihr bis ein Uhr beisammenblieb. Sie
empfing in ihrem Zimmer, da Delestang noch immer aus Furcht vor
Fettflecken die Schlüssel zum großen Salon verwahrte. Da das Zimmer
sehr klein war, ließ sie ihr Schlaf- und ihr Ankleidezimmer offen,
so daß sich die ganze Gesellschaft oft hier inmitten der
herumliegenden Lappen und Kleider zusammendrängte.
Am Donnerstage und Sonntage war Clorindens
größte Sorge, früh genug heimzukehren, um hastig zu essen und dann
ihre Gäste zu empfangen. Trotz der Anstrengungen ihres
Gedächtnisses vergaß sie ihre Gäste zweimal so vollständig, daß sie
wie aus den Wolken gefallen war, als sie, nach Mitternacht
heimkehrend, so viele Menschen an ihrem Bette fand. Eines
Donnerstags gegen Ende Mai kam sie ausnahmsweise schon gegen fünf
Uhr heim; sie war zu Fuß ausgegangen und hatte vom Eintrachtsplatze
her einen Platzregen über sich ergehen lassen, ohne einer Droschke
die dreißig Sous für die Heimfahrt zu gönnen. Pudelnaß trat sie
gleich in ihr Ankleidezimmer, wo ihre Kammerfrau Antonia, den Mund
mit Konfekt beschmiert, sie entkleidete, über ihre Gewänder
lachend, von denen es wie aus der Dachtraufe auf den Fußboden
herabtroff.
»Es ist ein Herr da«, sagte endlich Antonia, indem sie sich
niederbeugte, um ihrer Herrin die Schuhe auszuziehen. »Er wartet
schon eine Stunde.«
Clorinde fragte, wie er aussehe. Die Kammerfrau, schlecht
gekämmt und in fettigem Kleide, blieb am Boden hocken und zeigte
ihre weißen Zähne in dem braunen Gesicht. Der Herr sei stark, blaß
und von strengem Aussehen.
»Ah ja! Herr von Reuthlinger, der Bankier!« rief die junge Frau.
»Es ist wahr, er sollte um
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