Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
von der Tradition und vom
Lehramt ab, insbesondere im Bereich der Bibelwissenschaft und der
systematischen Theologie. Oft wird ein »Lehramt in Alternative« zu Rom und zum
Heiligen Vater vertreten, das sich mittlerweile als fester Bestandteil der
zeitgenössischen »Ambrosianität« zu etablieren droht.
5)
Geistliche Bewegungen werden zwar toleriert, aber zunehmend als ein Problem und
nicht als Lösung angesehen. Vorherrschend ist immer noch die soziologische
Sichtweise der 70er-Jahre,
als bildeten diese Gemeinschaften eine »Parallelkirche«, obwohl sie – um nur
ein Beispiel zu nennen – Hunderte und Aberhunderte Katecheten stellen, die in
vielen Pfarreien die unzureichenden Kapazitäten der Katholischen Aktion
ergänzen. Vielfach werden die zahlreichen Aktivitäten von Laien im
Bildungsbereich sowie im sozialen und karitativen Sektor mit Argwohn betrachtet
und als »Geschäftemacherei« abgestempelt, auch wenn es an der anfänglichen
Wertschätzung neuer Bemühungen zur praktischen Umsetzung der Prinzipien von
Solidarität und Subsidiarität in der jahrhundertealten Tradition des
praktischen Wirkens des ambrosianischen Katholizismus keineswegs fehlt.
6)
Was die Präsenz der Kirche in der Zivilgesellschaft betrifft, so ist eine
gewisse Einseitigkeit zugunsten des Einsatzes für soziale Gerechtigkeit auf
Kosten anderer wichtiger Themen der Soziallehre sowie, besonders seitens der
Kurie, ein zwar subtiler, aber systematischer »Neokollateralismus«
festzustellen – die Nähe nur zu einer bestimmten politischen Richtung
(Mitte-links) und die Vernachlässigung, wenn nicht Bekämpfung des politischen
Engagements von Katholiken in anderen Lagern, auch jener Katholiken mit sehr
verantwortungsvollen Positionen in der Regionalregierung. Diese faktische
Einseitigkeit – auch wenn sie sich geschickt hinter einer theoretischen
(und an sich angebrachten) »apolitischen Grundhaltung« versteckt – nimmt dem
erzieherischen Beitrag der Kirche zum Gemeinwohl, zur nationalen Einheit und
zum friedlichen Zusammenleben viel von seiner Wirkung – was umso schwerer
wiegt in einer Stadt, einer Region (der Lombardei) und einem Teil Italiens (dem
Norden), in dem isolationistische Tendenzen stark ausgeprägt, ja Konflikte
zwischen den staatlichen Gewalten inzwischen dramatisch und an der Tagesordnung
sind.
7)
Was die Präsenz im kulturellen Leben betrifft, die in einer Stadt wie Mailand
so wichtig ist, so muss gesagt werden, dass eine falsch verstandene Dialogbereitschaft
oft zum freiwilligen Verzicht auf die Besonderheit des Christentums führt oder
in relativistische oder problematisierende Positionen abdriftet, was – ohne zur
öffentlichen Diskussion wirklich etwas Neues beizutragen – letztlich eine echte
Auseinandersetzung mit anderen Vorstellungen erstickt und das Urteil der Kirche
über die herrschende Mentalität zur Bedeutungslosigkeit verurteilt.
Auch die besondere Stellung der Katholischen Universität in einer
Stadt wie Mailand darf nicht außer Acht gelassen werden. Trotz der
bewundernswerten Aufopferungsbereitschaft des derzeitigen Rektors und des
geistlichen Mitarbeiters erlebt die Katholische Universität eine
Identitätskrise – eine so schwere Krise, dass in absehbarer Zeit eine
substanzielle und irreversible Abkehr von der ursprünglichen Zielsetzung zu
befürchten ist. Hinsichtlich der Prärogativen des Heiligen Stuhls und der
Bischofskonferenz erscheint es nicht unerheblich, was ein neuer Erzbischof
aufgrund seiner Vorbildung und seiner Sensibilität dazu beitragen könnte, eine
klarere Linie der Hochschuleinrichtung aller italienischen Katholiken im
Bereich von Bildung und Kultur vorzugeben.
Aus all diesen, wenngleich nur summarisch skizzierten Gründen
erlaube ich mir schließlich, auf die dringende Notwendigkeit hinzuweisen, mit
der Neubesetzung die Gepflogenheiten der vergangenen dreißig Jahre entschieden
zu beenden, insbesondere angesichts der Bedeutung und des Einflusses, den die
Erzdiözese Mailand in der gesamten Lombardei, in Italien und der ganzen Welt ausübt.
Wir warten auf einen Hirten, der es versteht, die Bindung an Rom
und an Petrus zu festigen, mit Mut und Lebensbejahung die Freude des
Christseins zu verkünden und Hirte der ganzen und nicht nur eines Teils der
Herde zu sein. Es bedarf einer Persönlichkeit mit spiritueller Tiefe, festem
und klarem Glauben, großer Besonnenheit und Nächstenliebe und einer kulturellen
Bildung, die ihn in die Lage versetzt, mit den
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