Seine Heiligkeit: Die geheimen Briefe aus dem Schreibtisch von Papst Bendedikt XVI. (German Edition)
und Aktionen angestoßen wurden, um mich bei den Vorgesetzten
in Misskredit zu bringen und zu verhindern, dass ich die Nachfolge von
Präsident Lajolo antrete, wie ja inzwischen auch mein Ende als ausgemacht gilt.
Viganò ist über Bertones Entscheidung offenbar so
erschüttert, dass er am Ende dieses dramatischen »moralischen Vermächtnisses«
einen eklatanten Fehler begeht. Er verletzt ungeschriebene Regeln, die im
Alltag am Heiligen Stuhl unumstößlich sind, und begibt sich aus der Position
eines Anklägers, der auf grobe Verfehlungen hinweist, in die Haltung des
Rechthabers, der den Papst vor eine Alternative stellt:
Die
Nachricht, dass Eure Heiligkeit mir eine Audienz gewährte, wurde im
Governatorat und in der Kurie als Zeichen meiner fast sicheren Entlassung aus
dem Governatorat aufgefasst. Dies wird unter der großen Mehrheit der
Belegschaft im Governatorat und in der Kurie für große Verwunderung und
Betrübnis sorgen. Im gesunden Teil, der den Heiligen Vater liebt, würde meine
Entlassung, auch bei einer Beförderung in ein wichtiges Amt, als schwer zu
akzeptierende Niederlage aufgefasst. Sie würde das Vertrauen in die Person des
Heiligen Vaters erschüttern, dem es so sehr am Herzen liegt, dass in der Kirche
und in Seinem Haus im Vatikan für Ordnung und Sauberkeit gesorgt wird. Ich habe
für meine Person vom Heiligen Vater nichts zu erbitten, nur dass Er mir ein
Zeichen gibt, das den Mitarbeitern des Governatorats zeigt, dass mir der
Heilige Vater erneut Sein Vertrauen ausspricht. Wenn der Heilige Vater sie
unterstützen will, so bin ich sicher, dass es ein hervorragendes Zeichen sein
wird, um so vielen treuen Dienern Seiner Heiligkeit Vertrauen zu geben. Sie
wünschen nichts anderes, als Ihm mit Aufrichtigkeit, Großzügigkeit und voller
Hingabe an Seine Person zu dienen.
Für diejenigen, die den Papst lieben – so die
unvorsichtige Schlussfolgerung des Erzbischofs –, sei die Entlassung eine
schwer zu akzeptierende Niederlage, die »das Vertrauen in die Person des
Heiligen Vaters erschüttern würde«. Auch wenn es nicht als Drohung gemeint ist,
vergreift sich Viganò im Ton. Er stellt Benedikt XVI.
vor eine Wahl: Entweder er belässt ihn im Governatorat und erteilt Bertone
damit sozusagen eine Rüge, oder er unterstützt den Plan des
Kardinalstaatssekretärs und zerstört das Vertrauensverhältnis zu den
Beschäftigten der Kurie.
Ob es einem gefällt oder nicht: So fordernd darf dem Papst keiner im
Vatikan begegnen. Immerhin übt Benedikt XVI.die
unumschränkte politische und spirituelle Macht aus. Viganò hat beschlossen, ein
tiefes Unbehagen publik zu machen, und so in den heiligen Hallen eine Schlacht
eröffnet, die er verlieren könnte. Er geht ein sehr hohes Risiko ein: sowohl
wegen des Tonfalls in seinem Brief als auch deshalb, weil seine Vorwürfe gegen
das Schweigegebot und die Kompromissbereitschaft verstoßen, die für den Vatikanstaat
charakteristisch und seit Jahrhunderten etabliert sind.
Die Verschwörung gegen den Wandel
Wie Boffo recherchiert auch Viganò, wer seine Feinde sind
und wie sie vorgehen. Er ist überzeugt, dass Bertones Entscheidung, ihn trotz
seiner Leistungen zu entlassen, das Ergebnis »schwerwiegender Verleumdungen
gegen mich und mein Werk« seien. Jemand redet ihm übel nach, um ihn
auszubooten. Doch wer? Die Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Der
Erzbischof ist sogar überzeugt, dass man gegen ihn eine regelrechte
Verschwörung angezettelt habe, um den Staatssekretär zu seiner Entlassung zu
bewegen. Ihm schickt Viganò am 8. Mai 2011 denn auch einen weiteren Brief mit dem Vermerk
»Persönlich und vertraulich«. »Im Geiste der Loyalität und Treue«, heißt es
darin, »halte ich es für meine Pflicht, Eurer Eminenz von Fakten und Vorstößen
zu berichten, von denen ich mir absolut sicher bin, dass sie in den letzten
Wochen absichtlich mit dem Ziel betrieben wurden, Eure Eminenz zu bewegen, Ihr
Urteil über mich radikal zu verändern, um so zu verhindern, dass der
Unterzeichnende die Nachfolge Lajolos als Präsident des Governatorats antritt.
Die Pläne für diesen Führungswechsel sind allen in der Kurie gut bekannt.«
Viganòs schier unglaublicher Bericht erfordert ein paar Vorbemerkungen,
damit die Fakten im korrekten Zusammenhang bewertet werden können. Sollten sich
seine Behauptungen als wahr erweisen, wäre dies allerdings wirklich
beunruhigend. Die Nummer zwei im Governatorat rekonstruiert jeden Tag Schritt
für Schritt
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