Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Titel: Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Binder
Vom Netzwerk:
nach so einem Einsatz.
    »Hm, geht schon. Ich hätte mir nur gewünscht, mein erster Toter wäre nicht so schlimm.«
    »Seine Toten kann man sich nicht aussuchen«, antworte ich. Dann muss ich an den Lkw-Fahrer denken. Armer Kerl! Er kann nichts dafür und wird wohl nie vergessen, wie der Mensch gegen seine Scheibe geflogen ist. Das Krachen des Aufpralls und den Anblick danach – ob er wirklich zuerst dachte, er hätte ein Wildschwein überfahren?
    Ein bisschen bin ich dem toten Menschen böse, dass er sich nicht eine andere Art ausgesucht hat, aus dem Leben zu gehen. Eine Art, bei der er keinem anderen Leid zufügt und die vielleicht nicht so rasch wirksam, aber dafür rücksichtsvoller gewesen wäre.
    Auf der Wache bekomme ich mit, dass auch die Kollegen, die zuerst vor Ort waren, noch immer schockiert sind, weil sie statt des Wildschweins einen Menschen vorgefunden haben. Aber so ist das bei uns manchmal. Man bekommt das eine gemeldet und findet vor Ort etwas ganz anderes, mit dem man dann klarkommen muss.

Aus der Bahn geworfen
2005
     
    Der Überraschungseffekt bei jedem Dienst und jedem Einsatz macht für mich einen großen Teil des Reizes am Polizistenberuf aus. Man weiß nie, wie der Tag werden wird. Hat man sich gerade auf einen beschaulichen Nachtdienst eingestellt, spielt die halbe Welt verrückt, man wirbelt von A nach B und möchte sich fast zerreißen, um jeden zufriedenzustellen. Weiß man vor lauter Stress kaum noch, wo einem der Kopf steht, kommt einem plötzlich ein Einsatz unter, bei dem man erst mal nur rumsteht und wartet und nichts Besonderes tun kann.
    Trotz der unterschiedlichen Einsätze und wechselnden Belastungen heißt es für uns immer, sofort voll und ganz da zu sein und uns auf unsere Aufgabe zu konzentrieren, Hilfe zu leisten und zu tun, was von uns erwartet wird. In den vier Jahren, die ich nun schon auf der Autobahn arbeitete, war mir dies bislang auch immer gelungen – mit einer Ausnahme.
    Es war ein eigentlich alltäglicher Einsatz, der mich komplett aus der Bahn warf – mich, die ich, wie einer meiner Vorgesetzten mal sagte, »eigentlich immer und in jeder Situation überraschend gut funktioniert«.
    »Internistischer Notfall auf der A 4 im Kreuz Kerpen! Wer von euch steht günstig? Feuerwehr rollt schon!«
    Mechanisch drückt Nadine auf dem Beifahrersitz neben mir auf die Sprechtaste unseres Funkgeräts, wir stehen nicht so weit weg von der Örtlichkeit.
    »Okay, Mädels, da steht ein Lkw. Dem Fahrer ist offenbar schlecht geworden, der liegt neben dem Fahrzeug im Gras …«
    Ich höre bereits nicht mehr richtig zu, schalte das Blaulicht ein und das Martinshorn ebenfalls, dann trete ich aufs Gaspedal. Der Streifenwagen schießt die Autobahn entlang, ich gebe auf dem Scheitelpunkt der Kurve wieder Gas, als der Funker der Leitstelle sich erneut zu Wort meldet: »… Kennzeichen des Lkw ist AC - FB 1  …«
    Ich blinzele zweimal. Mein Bauch fühlt sich urplötzlich an, als wären Würmer drin, und mir wird brennend heiß. Mit einem Griff schnappe ich mir das Funkgerät. »Wiederhol das Kennzeichen noch mal!«
    » AC - FB 1 , warum?«
    AC für Aachen, FB für Fred Binder und die 1 , weil mit diesem Lkw nur er fährt.
    Ich schlucke und trete das Gaspedal fester durch, fühle, wie Nadine mich fragend anschaut.
    Am Funk herrscht Stille. Mit einer Hand steuere ich den Streifenwagen mit zweihundert Sachen über die Überholspur, mit der anderen angele ich in meiner Hemdtasche herum. Ich fische mein Handy heraus und werfe es Nadine in den Schoß. »Unter P ist eine Nummer mit PAPA Handy abgespeichert, wähl sie!«
    Sie sieht mich weiter schief an, tut aber, was ich sage. »Teilnehmer zurzeit nicht zu erreichen«, sagt sie Sekunden später.
    »Scheiße!« Meine Hände krampfen sich ums Lenkrad, der Streifenwagen schießt noch schneller durch den Verkehr.
    »Verrätst du mir mal, was los ist?« Nadine trommelt auf dem Armaturenbrett herum.
    Ich schlucke und will gerade antworten, als der Funk dazwischenkräht. »Janine, ich hab einen Halter ausgemacht von dem Lkw …« Pause … »Brich dir nicht den Hals, ich schick euch einen zweiten Streifenwagen. Lieber wäre mir, ihr brecht ab, aber das ist wohl kein Vorschlag, den du akzeptierst …«
    »Was zum Geier ist los!?« Nadines Stimme ist jetzt schrill, und wir rasen immer noch über die Autobahn.
    »Das ist der Lkw von meinem Vater. Papa hatte im letzten Jahr mehrere Schlaganfälle.« Ich rassele die Worte nur so runter und sehe

Weitere Kostenlose Bücher