Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)
Hochhausschluchten von Chorweiler, in denen man immerhin wie Pech und Schwefel zusammenhält, wenn die Bullen auftauchen, oder dieser eiskalte Umgang mit dem Tod eines Menschen.
Zu einem Ergebnis komme ich nicht und werde durch das Eintreffen der Kripo und des Sohnes des Toten aus meinen Gedanken gerissen. Rasch spule ich die Ereignisse runter, der Kollege der Kriminalwache guckt mich, als ich bei den Sprechgesängen der Jungs ankomme, kurz schockiert an, dann schüttelt er den Kopf. »Sachen gibt’s!«
Als ich ende, schickt er uns in fürsorglichem Tonfall weg. »Ihr Mädchen fahrt zur Wache und schreibt einen Bericht für mich. Den Rest machen wir jetzt hier. Vielleicht könnt ihr ja auch Feierabend machen, ich würde das zumindest nach so einem Einsatz tun.«
Stille herrscht in unserem Streifenwagen, als wir zur Wache fahren. Dort angekommen, ziehe ich mir als Erstes eine neue Hose an und stopfe die alte mit den Urinflecken an den Knien kurzerhand in die Mülltonne. Dann schrubbe ich mir die Hände, als könnte ich auf diese Weise den Ekel vor diesen menschlichen Abgründen abwaschen.
Sonia blickt mir über die Schulter, während ich den Bericht und die Anzeige wegen der Nägel schreibe. Tatsächlich hatten wir auf dem Weg zum Streifenwagen einige Nägel auf der Kieseinfahrt des Nachbarhauses gefunden und als Beweismittel eingesammelt.
Gerade als der Drucker sich in Bewegung setzt und meinen Bericht ausspuckt, ruft der Funker nach uns. »Ich weiß, das war jetzt grad kein toller Einsatz, aber seid ihr wieder einsatzklar? Wir hätten noch zwei Unfälle, die erledigt werden müssen!«
Wir schauen uns an, Sonia nickt zögerlich.
»Natürlich sind wir einsatzklar«, sage ich, und wir gehen raus zum Streifenwagen.
Ich lasse mich auf den Beifahrersitz fallen. »Geht’s einigermaßen?«
»Mein Glaube an die Menschlichkeit ist tief erschüttert, aber sonst …« Sonia lächelt, dann startet sie den Motor. »Auf, auf zu neuen Taten, das lenkt uns ab. Das macht uns stark.«
Noch während sie lacht, weiß ich, dass dieser Einsatz eine Geschichte werden wird. Eine Geschichte, für die ich ein paar Tage brauchen werde, bis ich die richtigen Worte finde, um meine Fassungslosigkeit und den Abgrund zu beschreiben, der sich da im schönsten und teuersten Viertel unseres Bereichs vor mir aufgetan hat und in den ich hoffentlich so bald erst mal nicht wieder blicken muss.
Sechs Wochen in der Dunkelkammer
2009
»Janine Binder!« Freundlich strecke ich den vier Beamten des KK 12 , denen mich die Leiterin gerade vorgestellt hat, die Hand entgegen. »Ich soll euch hier die nächsten Wochen unter die Arme greifen.«
Freundliches Nicken, die vier stellen sich ebenfalls vor. »Na, dann komm mal her. Hast ja scheinbar erst mal die Arschkarte gezogen. Spannend ist das hier bei uns weniger.«
»Hier bei uns« ist das Kriminalkommissariat 12 , kurz: KK 12 in Köln, ein Fachkommissariat, das sich mit Sexualdelikten und Kinderpornografie beschäftigt. Ich habe es mir als Praktikumsplatz während meines Studiums ausgesucht, um wieder mal meine Belastungsgrenze auszuloten.
«Die ersten sechs Wochen des Praktikums wirst du wohl hauptsächlich mit der Sichtung von sichergestellten Speichermedien zubringen«, erklärt mir Tom, einer meiner neuen Kollegen.
Ich lächle etwas gequält. So richtig kann ich mir darunter nichts vorstellen – noch nicht.
Die Jungs zeigen mir mein neues Büro. Es ist stockdunkel, weil die Rollos vor den Fenstern heruntergelassen sind. Auf dem Schreibtisch sehe ich drei große Computerbildschirme, an der Wand gegenüber stehen zwei Fernseher. Hinter dem Schreibtisch türmen sich Kartons und Schachteln voller CD s, DVD s, Videokassetten, USB -Sticks, Festplatten und anderem Computerschrott.
»Na, dann mach’s dir mal gemütlich«, meint Tom, »ich erklär dir kurz unser Programm. Im Grunde ist das nicht schwer, ähm … Na ja, wir werden sehen. Hast du was gegessen?«
Ich frühstücke nie, also schüttle ich den Kopf.
»Iss erst mal was«, rät mir Tom. »Ich will nicht, dass du gleich beim ersten Film aus den Latschen kippst!«
Lässig winke ich ab und richte meinen Blick auf die Computerbildschirme, die langsam hochfahren. Auf jedem zeigen sich andere, mir fremde Programme. »Geht schon, ich bin da hart im Nehmen.« Ich schicke ein unsicheres Lächeln durch den Raum und setze mich.
Die Programme sind tatsächlich simpel zu bedienen, und so verstehe ich rasch, was ich zu tun habe: Bilder
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