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Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Titel: Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Binder
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Stillen getauft habe. Erst jetzt fällt mir die Wärme auf, die von den vielen elektrischen Geräten ausgeht. Ich knöpfe meine Strickjacke auf und lasse mich auf den Stuhl fallen.
    Zwei Stunden später klopft es. »Alles in Ordnung bei dir?« Es ist Bianca.
    Wie aus einem Fiebertraum erwachend, hebe ich den Kopf, sehe, wie sich meine roten Wangen in einem der ausgeschalteten Fernseher spiegeln, und nicke. »Ja, alles gut.«
    »Mach mal ’ne Pause!« Sie hält mir eine Tasse Tee und ein paar Kekse hin. Widerstrebend reiße ich mich von dem Bildschirm los. Ich habe in den zwei Stunden ganz normale Zeichentrickfilme, Erotikfilme, Softpornos und Hardcore-Pornos im Schnelldurchlauf durchgesehen. Kinderpornografie habe ich keine gefunden, dafür sind meine Kenntnisse über das, was manche Menschen offenbar erregend finden, um einige seltsame Fäkalienspielchen erweitert worden.
    »Schaust du nur auf einem Bildschirm?«
    Ich sehe sie irritiert an. »Ja!«
    Bianca geht zum Fernseher, betätigt ein paar Tasten und zeigt mir, wie ich gleichzeitig mehrere Filme durchsehen kann, um meine Geschwindigkeit ein wenig zu erhöhen.
    Konzentriert springt mein Blick von rechts nach links.
    »Du musst halt nur stoppen, wenn du was Strafbares entdeckst!«, meint Bianca.
    Ich schlürfe meinen Tee und nicke stumm.
    Zwei Tage später schaue ich bereits mehrere Folgen »Sex and the City« parallel auf drei Bildschirmen im Schnelldurchlauf. Es kann nämlich durchaus sein, dass nach einem normalen Serienvorspann plötzlich keineswegs die Serie beginnt, sondern dass dort kleine verbotene Szenen mit Minderjährigen zwischengeschnitten sind. Es reicht also nicht aus, sich den Anfang einer Folge anzusehen, nein, man muss den gesamten Film durchschauen. Auf einem vierten Bildschirm klicke ich mich parallel durch eine Sammlung von Nacktbildern eindeutig Minderjähriger.
    Meine Sinne werden so rasch geschult, dass ich bald kein Problem mehr damit habe, mehrere Dinge auf einmal im Auge zu behalten. Trotzdem bin ich immer wieder entsetzt, wenn zwischen zwei Folgen »Star Trek« plötzlich kleine nackte Mädchen über den Bildschirm flimmern.
    Jetzt verstehe ich, warum Tom meinte, ich solle so viele Pausen machen, wie ich will. Denn was ich da sehe, ekelt mich zunehmend an. Ich bekomme zwar nicht die prophezeiten Albträume, und auch mein eigenes Sexualleben gerät nicht aus der Bahn, wie mir der eine oder andere Kollege angekündigt hat. Aber ich werde traurig. In meiner kleinen Dunkelkammer, allein mit so viel Dreck auf CD s und DVD s, frage ich mich, wie man sich so etwas tatsächlich zur Befriedigung ansehen kann. Immer wieder stapfe ich über den Flur, strecke den Kopf in die anderen Büros und rede mit den Kollegen und Kolleginnen, um mich abzulenken, um wieder den richtigen Blick für die Wirklichkeit zu bekommen.
    Das Reden brauche ich, damit sich meine Normalität nicht verschiebt, damit mein Bezug zur Realität nicht verloren geht und damit mein Hass auf die Menschen, die Kindern so etwas antun, kontrollierbar bleibt. Glücklicherweise hocke ich nicht jeden Tag der sechs Praktikumswochen in meiner Dunkelkammer, sondern werde von den Kollegen auch immer mal wieder zu Wohnungsdurchsuchungen mitgenommen, »damit du die Sonne noch mal siehst«, wie einer lachend meint.
    Seit dieser Zeit weiß ich, welchen psychischen Belastungen die Kollegen im KK 12 ausgesetzt sind, und habe große Hochachtung vor ihnen. Trotz oder gerade wegen der entsetzlichen Dinge, die sie auf den beschlagnahmten Rechnern und DVD s finden und ansehen müssen, herrscht auf der Dienststelle ein wunderbarer Umgang miteinander, ein Aufeinanderaufpassen und eine immer freundliche Stimmung. Und trotz meiner Dunkelkammer habe ich mich dort immer gut aufgehoben und versorgt gefühlt. Nach meinem ersten Sturm aufs Klo musste ich glücklicherweise auch nie mehr über den Gang flitzen. Es mag schrecklich klingen, aber man gewöhnt sich tatsächlich an alles, auch daran, das Leid unzähliger Kinder mit anzusehen.
    Dieses Praktikum hat mir vor Augen geführt, wie groß die Zahl solch schrecklicher Taten tatsächlich ist, und mir ist klar geworden, dass es nur durch die Mithilfe aller – durch aufmerksame User der Internetgemeinde und durch hilfreiche Bürger, die auf Fahndungsaufrufe reagieren – möglich ist, solche Straftaten aufzudecken und zu ahnden. Denn es ist keineswegs ein Kavaliersdelikt, sich solche Filmchen anzusehen, weil auch hier die Nachfrage das Angebot steuert. Wenn es

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