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Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition)

Titel: Seine Toten kann man sich nicht aussuchen: Eine Polizistin erzählt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Binder
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unterdrückter Wut, während ich ihn betont langsam loslasse und meinen Notizblock zücke. »Ausweise raus, und zwar zackig!«
    »Das wird Ihnen noch leidtun. Mein Vater ist Anwalt!«, meint einer der beiden. Ich sehe ihn angeekelt an.
    »Glaub mir, dem Gespräch mit deinem Papa sehe ich mit Freuden entgegen. Ausweis raus!«
    Zögerlich wühlen beide in ihren Taschen und geben mir ihre Personalausweise. In diesem Moment öffnet sich das automatische Gartentor, ein großer silberner Geländewagen fährt vor und hält direkt neben uns.
    »Was geht hier vor?«, fragt der gut aussehende braun gebrannte Mann mittleren Alters, dessen Kleidung bereits ausdrückt, dass er vermutlich in einem Monat mehr an Steuern zahlt, als ich verdiene.
    Kurz und knapp schildere ich dem Herrn Papa die Vorfälle, erkläre, dass ich einen Bericht dazu schreiben werde, notiere die Personalien der Jugendlichen und will mich gerade abwenden, um ihm bei seiner Standpauke nicht im Weg zu sein.
    Doch statt mit seinen beiden Söhnen spricht er mit mir: »Sind wir den Nörgelkopp also endlich los. Da wird die ganze Straße sich aber freuen, dass der alte Sack endlich das Zeitliche segnet. Sie glauben ja gar nicht, wie der uns alle tyrannisiert hat. Wegen der Nägel auf der Einfahrt würde ich übrigens gerne noch Anzeige gegen ihn und seine minderbemittelte Frau erstatten. Und jetzt verlassen SIE bitte mein Grundstück, Frau WACHTMEISTERIN !«
    Jetzt entgleisen mir doch die Gesichtszüge. »Kommissarin«, korrigiere ich ihn automatisch. »Ihre Anzeige habe ich so zur Kenntnis genommen und werde die nötigen Dinge veranlassen. Da drüben haben meine Kollegin und ich und jetzt der Notarzt um das Leben eines Menschen gekämpft. Ihre Einstellung ekelt mich an, und mit Freude verlasse ich Ihr Grundstück. Sehr ärgerlich, dass man sich gute Manieren mit Geld nicht kaufen kann!«
    »Ihre Dienstnummer hätte ich dann bitte auch gerne noch!«, ruft er mir hinterher, und ich spare mir jede Erklärung, dass es so etwas wie Dienstnummern bei der Polizei nicht gibt und dass ich auch nicht weiß, was er unter einer Dienstnummer versteht.
    »Ich bin ein Mensch, ich habe keine Nummer, sondern einen Namen!« Mit den Worten werfe ich ihm meine Visitenkarte vor die Füße und drehe mich fassungslos auf dem Absatz um. Diesmal nehme ich den Weg durchs Gartentor und komme beim Notarzt und den Sanitätern an, als diese gerade ihre Arbeit einstellen.
    Der Arzt schüttelt den Kopf. »Nichts zu machen!«
    Die Sanis breiten ein Tuch über den Leichnam, und ich greife zum Handy und verständige die Kripo.
    »Braucht ihr einen Notfallseelsorger für die Zeugen?«, fragt mich die Beamtin am anderen Ende.
    Erst schüttele ich den Kopf, dann wird mir bewusst, dass sie mich ja nicht sehen kann. »Nein, ich bezweifele, dass hier auch nur ein Anwesender im Besitz einer Seele ist!«
    »Was? Ich hab dich nicht verstanden!«, kommt es aus dem Handy.
    Mein Blick fällt auf die alte Frau, die wie ein Häufchen Elend auf der Terrasse sitzt. »Ja, doch, schick uns mal einen Seelsorger mit, zur Not unterhalte ich mich ein paar Minuten mit ihm.«
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Ja, ja. Mich kotzt die Menschheit nur grad kolossal an.«
    »Den Punkt erreichen wir alle irgendwann. Kopf hoch, die Kollegen sind gleich bei euch!«
    Ich beende das Gespräch und betrachte den Körper unter dem Laken. Der Notarzt steht neben mir und füllt den Totenschein aus.
    »Mach dir keine Vorwürfe, wir hätten ihn auch nicht retten können, wenn wir sofort da gewesen wären. Eure Reanimation war gut, aber der war tot, noch bevor er richtig am Boden angekommen ist.«
    »Ich hab ihm Rippen gebrochen, oder?«
    »Das gehört dazu! Wer keine Rippe bricht, hat nicht richtig reanimiert.« Er gibt mir einen Klaps auf die Schulter und lächelt mich aufmunternd an. »Sollen wir auf die Kripo warten?«
    Ich nicke und gehe dann zu Sonia, die immer noch neben der alten Dame kniet und sanft auf sie einredet.
    »Ihr Sohn ist unterwegs«, flüstert sie mir zu.
    »Die Kripo auch«, gebe ich genauso leise zurück.
    Vor dem Gartenzaun drängen sich mittlerweile die Nachbarn. Neugierig spähen sie auf das Grundstück, niemand tritt näher, niemand kommt, um sein Beileid auszudrücken, alles gafft nur über den Zaun, auf die Leiche unter dem Laken, die Sanitäter, auf uns und auf den Anwalt nebenan, der tatsächlich mit seinen halbstarken Söhnen auf der Einfahrt Basketball spielt, während ich mich frage, was schlimmer ist: die

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