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Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Seine Zeit zu sterben (German Edition)

Titel: Seine Zeit zu sterben (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Albert Ostermaier
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ich mir immer vor, ich bin ein Baum, ein kleiner Baum neben diesen Riesen und ich habe kleine, zerbrechliche Zweige, und die Rehe kommen und reiben sich an mir, die Eichhörnchen rennen an meinen Armen hoch, die dicken Feldhasen sitzen zu meinen Füßen und knabbern irgendwas, die Wildschweine kommen mit ihren Jungen und ich halte die Luft an, damit nicht die Eber ihre Säbelzähne in meine Rinde rammen, mich umschmeißen und dann niedertrampeln. Die Vögel fliegen zu mir, sie bauen sich Nester in meinen Locken, ich muss mir nie mehr die Haar waschen, die Küken lernen das Singen und schlingen alles aus den Schnäbeln ihrer Eltern, während meine Eltern mich suchen, überall suchen, dabei haben sie mich doch in die Schule geschickt. Und dann hör ich die Motorsägen, sie kommen immer näher, alles schreit, der ganze Wald schreit, die Tiere schreien, der Boden, die abgetrennten Zweige, die Stämme, denen sie die Bäuche zersägen, überall fallen die Bäume, sie werden mich erschlagen, wenn sie mich nicht abholzen, werden die großen mich erschlagen, auf mich drauffallen, ich bekomme keine Luft mehr, wenn sie auf mir liegen, wenn der fremde Mann auf mir liegt, wenn ich mit Papi spiele, tauch nach oben, wenn du keine Luft mehr bekommst, heb deinen Arm, wenn du keine Luft mehr bekommst, rutsch einfach runter, wenn es dir zu steil ist, fahr wieder Pizza. Papi, nimm mich zwischen die Beine, trau ich mich nicht zu sagen, du bist ein großer Junge. Ich bin ein großer Junge, ich bin schon allein nach Hause gefahren, aber das hat Mami mir verboten, Papi zu erzählen, sonst schimpft er mich, hat sie gesagt, Fernsehverbot, Fußballverbot, aber nie gibt es Geigenverbot, nie Matheverbot, nie Skischulverbot.
    Ich mag nur zum Franz, habe ich ihm gesagt, aber der Franz, hat er gesagt, hat keine Zeit. Wenn Papi lügt, merk ich es sofort, da fühlt er sich so unwohl in seiner Haut, hat er zu Mami gesagt, ich will das Kind nicht anlügen, ich bin als Kind immer angelogen worden. Und ich sitze auf der Treppe und hör alles. Ich werde mal Detektiv, ich spioniere meinen Eltern nach, damit ich es lerne, ich stell mir vor, sie haben ganz schlimme Geheimnisse und ich wäre gar nicht ihr echter Sohn, sondern sie hätten mich geklaut, entführt, ich wär ein Königskind oder das Kind von einem Milliardär oder einem Russen, weil ich Igor heiße, und der war ein böser Mann, deshalb haben sie ihn umgebracht, um mich zu befreien, und dort oben in einem der Schneekanonenseen versenkt, und der böse Russen-Papi kommt jetzt als Schneeflocken auf die Piste. Deshalb ekelt mich immer, wenn ich da vorbeifahren muss, deshalb bin ich jetzt so gefahren.
    Mich friert es. Nicht so stark reiben. Mit meiner Skimaske sehe ich aus wie ein Bankräuber, sagt Mami und hebt die Hände, wenn ich sie mit meinem Stock bedrohe, Gummibärchen oder Leben! Ich hab meine Gummibärchen verloren, im Lift sind sie mir runtergefallen. Ich wäre am liebsten nachgesprungen, aus dem Sessellift gesprungen. Das ist zum aus dem Fenster springen, sagt Mami immer, und Papi möchte aus der Haut fahren, und ich sperr mich in meinem Zimmer ein und zieh die Vorhänge unter meinem Bett zu und spiele Pflanzen gegen Zombies, aber wenn ich weinen muss, platschen dauernd meine Tränen auf das iPad und dann fressen die Zombies meine Kullertränen und werden ganz groß und stehen gleich in meinem Zimmer, sie klopfen schon an der Tür, hämmern gegen die Tür, treten gegen die Tür, mach auf, mach sofort auf, aber ich stopf mir meine Ohrstöpsel ins Ohr, überall sind die Zombies schon, sie haben den Garten aufgefressen, sie haben Papis Seite im Bett gefressen, sie haben meinen, unseren Schneemann aufgefressen, aber ich werde sie alle abknallen, bis Papi Mami wieder küssen darf, dann steht Happy End über unserm Haus, von solchen Hubschraubern in den Himmel geschrieben wie unten bei dem Rennen. Hast du die gesehen? So, genauso haben sie sich gedreht.
    Entschuldige. Wo fahren wir jetzt hin? Da ist es dunkel. Es ist so kalt, dass ich gar nicht heulen kann, ich darf auch nicht heulen, ich bin groß, ein großer Junge schon. Und die Sterne werden in der Nacht glitzern, der kalte Schnee wird glitzern im Sternenlicht, und ich werde von allem so weit entfernt sein wie der Stern vom Schnee, ich bin so weit weg wie der Mann im Mond, wenn er auf die andere Seite geht. Fährt der Mann im Mond auch Ski? Kennst du den Mann im Mond? Kannst du so wie ich mit den Zähnen klappern? Soll ich schreien? Ich schrei

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