Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
samstags mit ihm einkaufen gehen, seine Hand halten, ihn von der Schule abholen. Stattdessen ist irgendeine andere Frau seine Mutter geworden … hat mir Jahre seines Lebens gestohlen. Ich kann es kaum begreifen.
»Warum hast du das getan, Art?« Meine Stimme versagt, als eine Flut von Bildern auf mich einstürzt: die Lilien bei Beths Beerdigung, der Streit mit Mum über das Verstreuen der Asche – ich hatte sie an der Südküste verstreuen wollen, wie wir es mit der Asche von Dad getan hatten; sie wollte einen Gottesdienst im Krematorium –, die Trauerweide, die durch das Fenster des Fair Angel zu sehen war, der weiße Strampelanzug, weich und leer in meinen Händen. All das basierte auf einer Illusion – die Lilien für einen Tod, der eine Geburt war, die Asche nur Holz und Staub, der Schmerz und die Erinnerungen. Alles wegen nichts. »Wie hast du mir das antun können? Ich verstehe es nicht … warum hast du ihr unser Baby gegeben?«
»Ich musste es tun«, sagt Art mit kaum hörbarer Stimme. Es hat aufgehört zu regnen, doch die Haare kleben uns am Kopf, und unsere Kleider sind völlig durchgeweicht.
» Warum musstest du es tun? Was in aller Welt könnte es rechtfertigen, einer Mutter ihren kleinen Jungen wegzunehmen?« Ich halte inne. »Was könnte es rechtfertigen, mein Leben zu zerstören?«
»Ich kann es nicht erklären, Gen. Es ist sicherer für dich, wenn du es nicht weißt.« Art reibt sich die Arme. Er trägt nur einen dünnen Pullover über seinem Hemd. Der Pullover ist schmutzig und nass.
» Sicherer für mich?«, frage ich. »Wenn ich wirklich in so großer Gefahr bin, warum kannst du sie nicht aufhalten? Warum kannst du nicht einfach zur Polizei gehen?«
»Das hat keinen Sinn.«
»Art, das ist verrückt. Du tust so, als stünde diese Frau außerhalb des Gesetzes. Du hast mir gegenüber zugegeben, dass du gesehen hast, wie sie Bernard O’Donnell umgebracht hat. Lass uns einfach zur Polizei gehen und es ihr sagen.«
»Du verstehst das nicht«, sagt Art. »Mein Wort wird dort nichts zählen, nicht, wenn sie die Geschichte mit Ed rausfinden und … und wie ich alle dazu gebracht habe zu sagen, es sei eine Totgeburt gewesen.«
»Dann musst du der Polizei auch davon erzählen. Sag ihnen, wie sie dich gezwungen hat, unser Baby wegzugeben. Sag es mir .«
Es entsteht eine lange Pause. Eine Windbö greift in die Zweige über uns und lässt Regentropfen auf unsere Köpfe prasseln.
»Rodriguez dafür zu bezahlen, wegen Ed zu lügen, und die anderen Beteiligten für ihr Schweigen zu bezahlen, war der Preis für deine Sicherheit«, sagt er. »Wegen Ed zu lügen ist noch immer der Preis für deine Sicherheit.«
»Wovon redest du?«, frage ich.
»Damals, als Ed geboren wurde … Sie hat gesagt, sie würde dich umbringen, falls ich nicht tue, was sie will. Also musste ich mich entscheiden«, sagt er langsam. »Zwischen dir und Ed. Ich habe mich für dich entschieden. Ich habe mich dafür entschieden, dass du am Leben bleibst, und dafür Ed gehen lassen. Ich wusste, dass er in Sicherheit sein würde, dass er versorgt werden würde und dass ich hierherkommen könnte, wie ich es alle paar Wochen tue, um ein paar Stunden mit ihm zu verbringen, sodass er mich trotz allem als seinen Vater kennenlernen würde.«
»Aber mich sollte er nicht als seine Mutter kennenlernen?« Ich spucke jedes Wort einzeln aus.
»Damals habe ich gedacht, dass wir beide noch ein Baby haben könnten«, sagt Art. »Das habe ich immer gedacht. Ich habe nicht einem Moment lang daran gezweifelt, dass du innerhalb weniger Monate wieder schwanger sein würdest.«
»Aber ich wurde es nicht, Art, oder?« In mir tobt wilder Schmerz. »Ich bin nicht wieder schwanger geworden. Ich bin nicht Mutter geworden. Wie konntest du im Übrigen wissen, dass diese Frau – der du so bereitwillig alles gegeben hast – nicht auch das nächste Baby von dir verlangen würde oder das übernächste?«
»Es war eine Wiedergutmachung«, sagt Art. »Ich stand in ihrer Schuld. Ein Baby war der Preis.«
»Wie soll ich das verstehen? Der Preis für was? « Ich ziehe mein Handy heraus. »Wenn du es nicht tust, dann tue ich es, ich rufe jetztdie Polizei.«
»Bitte nicht, Gen. Bitte denk darüber nach, was ich sage. Wenn du das tust, wirst du Ed nie wiedersehen.«
Ich zögere, die Hand über der Tastatur des Handys. »Das ist Unsinn. Ich weiß, wo er wohnt … wo er zur Schule geht …«
»Sie wird ihn wegbringen. Sie wird dich aufhalten! Sie und ich haben uns
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