Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
mir hin und her. »Ich weiß, wo ein Strick ist. Ich komme gleich zurück.«
»Ich glaube dir nicht«, erwidert Lorcan. Er geht zu Art hinüber. Die Männer starren einander an, mit geballten Fäusten.
»Glaub doch, was du willst. Ich tue das für Gen«, sagt Art.
»Du hast das Recht verwirkt, etwas für sie zu tun.« Lorcan kommt näher heran. Sie sehen sich in die Augen, ohne dass einer nachgibt.
»Aufhören! Was soll Ed nur denken?«, rufe ich. Der kleine Junge hat sich irgendwo im Obergeschoss verkrochen, verängstigt und alleine. »Wir sollten jetzt lieber die Polizei rufen. Sofort.«
Lorcan wirft Art einen letzten wütenden Blick zu. »Also gut. Ich bleibe hier bei Gen.«
Art hält die Hände in die Höhe, in einer Geste irgendwo zwischen Selbstverachtung und eingestandener Niederlage. Dann zeigt er auf die Waffe am Boden. »Ruf die 999 an, Gen. Zeige ihnen das. Erzähl ihnen alles, was geschehen ist. Nur eines solltest du nicht erwähnen.«
»Ach? Was denn genau?«, fragt Lorcan.
Art zeigt auf das Messer, das Lorcan aus der Küche mitgebracht hat. Es liegt ein Stück entfernt am Boden. »Ich würde die Fingerabdrücke abwischen und es wieder in den Messerblock stecken.«
Lorcan blinzelt ungläubig. Das ist so ungefähr das Letzte, das er von Art erwartet hätte. »Richtig.« Lorcan hebt das Messer auf und bringt es in die Küche. Ich höre Wasser laufen.
Es vergeht ein Augenblick. Ich sehe auf Morgan hinab. Ihr Blut läuft noch immer auf den Teppich. Ich lege die Hand auf meinen Mund.
»Oh, Gen …«, sagt Art leise. »Wenn er’s sein muss, dann schau, dass er gut auf dich aufpasst. Ich weiß, ich habe nicht das Recht, dich um etwas zu bitten, aber, bitte, gib auf dich Acht.«
Ich habe ihn kaum je so gequält und unglücklich gesehen, und doch leuchtet aus seinen Augen auch ein Funke seiner Wärme, seiner starken Persönlichkeit.
Ich möchte etwas sagen, aber meine Gefühle sind zu groß und kompliziert, um sie in Worte zu fassen. Ein Teil von mir liebt ihn noch immer. Wird ihn immer lieben.
Mit Bestimmtheit weiß ich nur, wie viel vergeudetes Leben in diesem Moment in diesem Zimmer versammelt ist.
»Es tut mir leid, Gen. Bitte sag Ed, dass ich ihn liebe.« Seine Stimme versagt, aber bevor ich antworten kann, hat er sich umgedreht, zieht die Doppeltür auf und verschwindet im Dunkeln.
Ich sehe noch einmal auf Morgan hinab … auf die dunkle Lache, die sich um ihre Leiche ausbreitet. Ich gehe durch den Raum zum Telefon und wähle die Notrufnummer. So ruhig wie möglich erkläre ich, dass wir hier so schnell wie möglich die Polizei und einen Krankenwagen brauchen.
Während ich noch die Fragen des Diensthabenden beantworte, kommt Lorcan zurück und legt die Arme um mich. Ich beende das Gespräch und bleibe noch eine Weile ruhig in seinen Armen. Ich möchte die Augen schließen und den Anblick von Morgans Leiche von mir schieben … die Verzweiflung in Arts Blick … das Entsetzen des kleinen Jungen, der sich oben versteckt … aber ich weiß, dass diese Bilder bei mir bleiben werden.
Dass es meine Aufgabe sein wird, mich alldem zu stellen.
Und dann löse ich mich von Lorcan und mache mich auf die Suche nach meinem Sohn.
Ein Tag vergeht. Ein zweiter. Bevor ich es glaube, ist eine Woche vorüber. Ein Monat. Zwei. Ein halbes Jahr. Und mein ganzes Leben ist auf den Kopf gestellt.
Art hat Wort gehalten. Er hat Jared gefesselt und ist ins Haus zurückgekommen, kurz bevor die Polizei eintraf. Wir wurden natürlich alle einzeln verhört, aber später erfuhr ich, dass Art alles sofort gestanden hat. Er erzählte der Polizei die ganze Geschichte – wie und warum er unser Baby genommen hatte – und dass er Zeuge des Mordes an Bernard O’Donnell war. Dr. Rodriguez ging der Polizei durch die Lappen und ist bislang nicht wiederaufgetaucht. Bestimmt führt er irgendwo in der Abgeschiedenheit ein Leben in Luxus – aber ich hoffe, dass er für den Rest seines Lebens immer ängstlich über seine Schulter blickt.
Jared gestand seine Beteiligung, sowie er erfuhr, dass Morgan tot ist. Außer bei der Gerichtsverhandlung habe ich ihn nicht mehr gesehen, aber es war klar, dass ihr Tod ihm so nah ging, dass er keinen Sinn darin sah, seine Haut zu retten. Er räumte die Morde an Lucy O’Donnell und, Jahre zuvor, an dem Anästhesisten Gary Bloode ein. Außerdem gestand er, mich ausgeraubt und Lorcan entführt zu haben. Nur eines wollte er nicht zugeben – dass er von Morgan den Auftrag erhalten hatte, Lorcan
Weitere Kostenlose Bücher