Seit du tot bist: Thriller (German Edition)
…«
»Über deine Schwangerschaft?« Ich seufze. Mir zieht es die Brust zusammen. Für eine Sekunde bin ich sauer, dass ich nun auch noch an Hens schlechtem Gewissen mitleide, aber ich schiebe den Ärger gleich wieder von mir. Es ist nicht Hens Schuld, dass es so gelaufen ist. »Ist doch alles in Ordnung, Hen. Das haben wir doch bei der Party alles geklärt. Ich freue mich für dich.«
»Ich weiß, aber ich kann mich einfach nicht damit abfinden, dass ich es dir nicht erzählt habe.«
Lorcan ist aufgestanden. Ich sehe auf. Er nimmt noch einen großen Schluck aus dem Becher und stellt ihn dann auf dem Tisch ab. Er zeigt auf die Tür zum Zeichen, dass er geht.
»Warte mal, Hen.« Ich lege das Telefon auf den Beistelltisch und gehe hinüber. »Du musst nicht gehen«, sage ich leise.
Er zuckt mit den Schultern und hält das Messer hoch. »Ich habe, weswegen ich gekommen bin.« Er sieht mich bedeutungsvoll an mit seinen dunkelblauen Augen. Mich durchläuft ein Schauer – erschreckend zwar, aber doch auch wieder faszinierend.
»Richtig.« Ich trete zur Seite und lasse ihn vorbei. Als wir bei der Haustüre sind, zieht er sein Handy heraus.
»Es tut mir leid«, sage ich. »Du brauchst wirklich nicht …«
»Das ist doch kein Problem.« Er prüft die Zeit auf dem Display. »Ich treffe mich ohnehin in einer halben Stunde mit Cal zu Mittag.« Er zögert. »Möchtest du meine Handynummer? Für den Fall … wenn du reden willst. Falls ich etwas tun kann?«
Ich nicke. Es kommt mir ungehörig vor, diese Nummer von ihm anzunehmen. Wenn überhaupt, dann hätte das nur mit Arts Wissen geschehen dürfen.
Wir tauschen die Nummern aus, und er geht. Erst als ich im Wohnzimmer das Telefon auf dem Beistelltisch sehe, fällt mir Hen wieder ein. Die nächsten zehn Minuten beruhige ich sie. Sie erwähnt Lucy O’Donnells Behauptungen und das an MDO überwiesene Geld erst ganz am Ende und eher beiläufig. Ob ich mir noch Sorgen deswegen mache.
»Ein wenig«, räume ich ein.
Ich höre, wie sie Luft holt. »Ach, Gen«, meint sie. »Es tut mir so leid … Ich heule dir die Ohren voll, während du diese ganze Geschichte am Hals hast.«
»Schon gut. Ich …«
»Aber ich bin mir sicher, dass da nichts dahintersteckt«, sagt sie. »Ich meine, das wäre doch verrückt, wegen einer dahergelaufenen Irren und einem bisschen Geld von Arts Konto gleich durchzudrehen.«
»50 000 sind ja schon mehr als ein ›bisschen‹, oder?«
»Ja, schon, aber Gen, selbst wenn es eine Million Pfund wären, was würde denn das schon beweisen, außer … Lieber Gott, außer wie sehr du dir wünschst, dass es stimmt, dass Beth noch am Leben ist.«
Mit einem Mal sehe ich mich mit Hens Augen: kinderlos, besessen und einem Hirngespinst anheimgefallen. Ich weiß noch, wie sie neulich am Telefon über mich gesprochen hat, voller Mitleid und etwas entnervt.
»Ehrlich«, beharre ich. »Ich steigere mich da wirklich nicht hinein.« Ich habe von Hen jetzt erst einmal die Nase voll. Ich mag sie wirklich gern, aber sie ist furchtbar anstrengend, und ich habe gerade nicht die Kraft, mich neben meinen eigenen Gefühlen auch noch mit ihren auseinanderzusetzen.
Nun wieder beruhigt beendet Hen die Unterhaltung, indem sie mich zum Lachen bringt, und zwar mit der Schilderung einer Begegnung bei Harvey Nichols am Samstag mit einer Verkäuferin, die ihr einst die Kreditkarte zerschnitten hat.
»Sie hat sich fast umgebracht vor Freundlichkeit«, meint Hen, ihr Grinsen ist hörbar. »Kann man mal sehen … Vor fünf Jahren, als ich kein Geld gehabt habe, da war sie noch so was von hochnäsig.«
Eine Stunde später breche ich auf in die Stadt zu meiner Montagsvorlesung. Geschneit hat es immer noch nicht, aber als ich zur Tür hinausgehe, fährt mir eine grimmige Kälte unters Futter. Ich mache auf dem Absatz kehrt und fische mir eine blaue Wollmütze aus dem Flurschrank. Die ziehe ich mir über die Ohren, marschiere die Straße hinunter und genieße die Kombination aus Kälte und Sonne. Beim Unterricht im Art & Media Institute bin ich ziemlich guter Dinge.
Nach der Stunde wollen noch viele Teilnehmer mit mir sprechen. Mit einigen plaudere ich noch kurz, schlüpfe dann aus dem Gebäude und gehe in Richtung Bushaltestelle. Ich habe erstaunlich gute Laune, bis ich am Ziel aus dem Bus steige und bemerke, dass inzwischen später Nachmittag ist und ich trotz aller Vorsätze meinem Ziel, Dr. Rodriguez aufzustöbern, in einer Woche keinen Schritt näher gekommen bin. Ich bin so
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