Seit jenem Tag
schob sie ihre Sonnenbrille endlich hoch auf ihren Kopf und musterte mich kritisch, um bei mir nach Anzeichen von Schwäche zu forschen.
»Hat Flynn was gesagt?«
»Flynn hat immer jede Menge zu sagen, aber hier reden wir über Sie.«
»Ich wollte ihn nicht beleidigen«, erwiderte ich flehend. »Ich wollte ihm nur dabei helfen, das Bestmögliche herauszuholen. Es war als Unterstützung gedacht gewesen.«
»Ihn unterstützen? Das ist wirklich reizend«, entgegnete sie mit einem steifen Grinsen. »Ich frage mich, ob nicht Sie es sind, die Unterstützung nötig hat. Ich habe zwar noch nicht mit ihr gesprochen, aber ich bin mir sicher, dass Charlotte die ganze Sache gern übernehmen würde. Es wird sicherlich nötig sein, beruhigend auf ihn einzuwirken.«
An der Art, wie sie es sagte, merkte ich, dass sie log, die Angelegenheit nämlich schon fast in trockenen Tüchern war und Charlotte nur darauf wartete, über mich herzufallen.
»Nein!«, brauste ich auf. »Ich meine, ich kann das meistern. Ich werde alles tun, was erforderlich ist.«
»Was erforderlich ist? Einen Moment mal, Livvy. Ich möchte nicht, dass Sie jetzt gehen und dann feststellen, dass Sie wieder eine leere Versprechung gemacht haben.«
Es tat weh, als sie es sagte: die Vorstellung, dass ich jemand bin, der nicht Wort hält. Ich flehte sie an, schwor ihr Loyalität, während sie mitleidlos zusah, wie ich am Haken zappelte.
»Ich frage mich, ob das was Ihrer Freundin zugestoßen ist, Sie nicht härter getroffen hat, als Ihnen selbst bewusst ist«, sagte sie. »Ich kann mich des Gefühls nicht erwehren, dass Sie seitdem nicht mehr Sie selbst sind. Vielleicht brauchen Sie ja ein wenig Urlaub, um sich wieder zu sammeln, was meinen Sie?«
Und das war der Moment, wo es mit mir durchging. Ich wollte auf keinen Fall meinen Job verlieren.
»Okay«, lenkte sie schließlich mit unergründlicher Miene ein, und ihre roten Ärmel flatterten im Wind wie die Flügel eines eleganten Vogels. »Es dauert nicht mehr lang, bis er wieder in die USA verschwindet. Ich hoffe, Ihnen ist klar, dass Sie wirklich alles geben müssen.«
Dabei starrte sie mich herausfordernd an, um mich mürbezumachen, doch ich zuckte mit keiner Wimper. Wenn erst mal eine Sache zu bröckeln anfing, wo sollte das alles enden?
William verspätet sich um ganze fünfzehn Minuten, was für ihn eine Ewigkeit ist. Ich stehe vor dem Flur im Spiegel, trage Lippenstift auf und frisiere mich. Diesmal habe ich mir mit meinem Outfit Mühe gegeben, aber auch nicht zu viel – in der Absicht, das Spannungsfeld zwischen schlicht und attraktiv abzudecken. Dazu habe ich mich für einen gut sitzenden blauen Cordrock mit einem grauen Kaschmirpullover entschieden, dessen V-Ausschnitt der goldene Herzanhänger schmückt, den Jules mir zum Geburtstag geschenkt hat. Als es dann fast schon eine halbe Stunde über der Zeit ist, rufe ich ihn an. Abgesehen von allem anderem, muss ich dafür sorgen, dass er hier weg ist, bevor Charlotte sich in meiner Küche drapiert.
»Es tut mir so leid«, sagt er abgehetzt. »Wir stehen aber schon direkt vor der Tür.«
»Oh! Okay, ich komme runter.«
Er steht neben einem geparkten schwarzen Golf, dessen Beifahrertür weit aufgerissen ist, auf dem Gehweg. Madeline sitzt mit wütender Miene im Wagen. Ich nähere mich vorsichtig.
»Hallo«, sagt William, fast ohne mich anzusehen, und die Missstimmung zwischen den beiden ist mit Händen zu greifen.
»Hi«, sage ich und zögere. Madelines Fäuste liegen geballt in ihrem Schoß, ihre Wangen brennen. Mir wird bang bei ihrem Anblick.
»Hi, Madeline«, sage ich mutig.
»Geh weg«, knurrt sie, ohne mich eines Blickes zu würdigen. Ich trete ein paar Schritte zurück wie ein Löwenbändiger ohne Erfahrung.
»Du wirst so nicht mit Olivia sprechen!«, schnauzt William sie in scharfem Ton an. Weil ich weiß, wie beschämend das sein muss, trete ich einen Schritt näher.
»Ist schon gut«, sage ich zu ihm und versuche Blickkontakt zu ihr aufzunehmen. »Was ist los? Ich dachte, wir wollten ein Schloss besichtigen?«
»Nichts«, erwidert Madeline und verschränkt dabei ihre Arme vor ihrer Brust und starrt entschlossen ins Leere. Die Ähnlichkeit mit ihrem Vater ist dabei nicht zu übersehen.
»Du setzt dich jetzt sofort auf die Rückbank!«, sagt William. »Das ist Olivias Platz.«
»Ich kann auch hinten sitzen, das ist schon in Ordnung.«
»Nein!«, schreit Madeline. »Ich möchte dich nicht in meinem Auto haben. Geh zurück in dein
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