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Seit jenem Tag

Seit jenem Tag

Titel: Seit jenem Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eleanor Moran
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können, sieht er sie ergriffen an. »Mummy wird da nicht drin sein!«, klärt sie ihn auf, als wäre er ein Volltrottel. »Sie ist oben im Himmel bei den anderen Mummys, die gestorben sind.«
    Wir schauen sie beide an, und unsere Blicke treffen sich, aber sie rennt bereits los und stellt sich in die Schlange. William streichelt wieder meine Hand und lehnt sich an mich.
    »Danke, dass du hier bist«, sagt er. »Trotz des morgendlichen Theaters. Ich versichere dir, dass es mir eine große Hilfe ist.«
    »Das freut mich«, erwidere ich. Was bin ich für dich, überlege ich, oder besser, was könnte ich sein? Ich hoffe, er liest die Frage nicht in meinen Augen.
    Madeline steht bereits ganz vorne in der Schlange, als wir dazukommen.
    »Drei Tickets bitte«, sagt sie und reicht dem Mann am Schalter eine Handvoll Wertmarken.
    »Sind die für deine Mama und deinen Papa?«, fragt er. »Allein kommst du da nämlich nicht rein.«
    »Das ist mein Daddy, aber sie ist nicht meine Mummy«, erklärt Madeline und zeigt auf uns. »Das ist Olivia. Meine Mummy ist tot.«
    Dem Mann im Tickethäuschen verschlägt es die Sprache. William tritt vor und nimmt die Tickets.
    »Danke«, sagt er. »Tut mir leid.«
    »Aber sie ist es«, beharrt Madeline, und ihre Unterlippe beginnt zu zittern. William bekommt wieder jenen besorgten Blick. Öffentliche Zurschaustellung ist nicht seine Stärke.
    »Ja, das ist sie«, stimme ich ihr zu und versuche ihr mit meinem Blick zu vermitteln, dass ich gut verstehe, was sie damit ausdrücken möchte. »Und es ist wirklich sehr traurig.«
    Vielleicht ist die Geisterbahn genau das Richtige für sie. Obwohl die grünlich leuchtenden Skelette absolut unecht aussehen, kreischt und heult sie und klammert sich an William, als wollte sie ihn nie wieder loslassen. Im Anschluss daran verzichten wir auf weitere Fahrten und verwöhnen uns mit riesigen Bäuschen Zuckerwatte, die wir mit hinunter an den ins Licht der untergehenden Sonne getauchten Kieselstrand nehmen. William zeigt Madeline seinen Trick, Steine übers Wasser zu hüpfen zu lassen, indem er ihre Hand so behutsam hält, dass sie tatsächlich glaubt, das häufige Aufplatschen ganz aus eigenem Können bewirkt zu haben. Sie springt jubelnd auf und ab, und ich kann über ihre Fähigkeit, so viele extreme Gefühle in sich zu bergen und sich zwischen ihnen wie beim Wellenreiten hin und her zu bewegen, nur staunen.
    »Soll ich dir mal ganz was Aufregendes erzählen?«, sagt William, nachdem sie sich beruhigt hat.
    »Was denn?«, fragt sie.
    »Wenn wir dich taufen lassen, rate mal, wer deine Patin sein wird?«
    Meine Handflächen sind vor Lampenfieber kalt und schweißnass. Sollte sie mich kurzerhand zurückweisen, wäre die Demütigung vollkommen.
    »Prinzessin Kate?«
    »Nein, du darfst noch mal raten«, sagt William und tippt ihr auf die Nase. »Außerdem ist sie eine Herzogin.«
    Das tut weh. Madeline dreht sich langsam um und sieht mich forschend an.
    »Du?«, sagt sie, ein Wort, das mit so viel Bedeutung befrachtet ist. In diesem Moment ist sie Sally so ähnlich, dass mir die Luft wegbleibt.
    »Ja«, antworte ich zögernd. »Wenn du damit einverstanden bist.«
    Sie schaut mich einen Moment lang an und reißt sich dann los, um zum Strand hinunterzulaufen. Der Anblick ihres fliegenden dunklen Haars ist mir nur allzu vertraut.
    Ich verfolge sie hilflos mit meinen Blicken, während William ihr hinterherrennt – die Symbolik ist nicht zu übersehen, es ist, als würde das Universum einen warnenden Blitz von oben schicken. Der Gedanke an ein eigenes Kind ist eine Sache, aber der Gedanke, dieses gebrochene, zornige kleine Wesen könnte mich jemals nah an sich heranlassen, ist einfach unvorstellbar. Immer würde ich ein Schatten, ein Gespenst, eine menschliche Erinnerung an das sein, was verloren ist.
    Sie reden jetzt miteinander, William kniet vor ihr. Ich kann nur bei Gott hoffen, dass er sie nicht schimpft. Schließlich kommen sie Hand in Hand zu mir zurück. Madeline sieht mich unverwandt an, als sie das Wort an mich richtet.
    »Patin ist nicht dasselbe wie Mutter.«
    Es ist, als könne sie meine Gedanken lesen, so transparent sind meine geistigen Höhenflüge – und ich fühle mich viel zu entblößt, um auch nur einen Blick in Williams Richtung zu werfen. Als Sally starb, hat sie mit allen Mitteln dafür gesorgt, einen Platzhalter an ihre Stelle zu setzen.
    »Nein, das ist es nicht«, versichere ich ihr. »Aber es bedeutet, dass du für mich immer etwas

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