Seit jenem Tag
jene schartigen Fragmente unserer Freundschaft wirbeln an mir vorbei, als wären sie in einem Kaleidoskop gefangen, und die Vorstellung, dass sie krank war, lässt sie in völlig neuem Licht erscheinen.
»Die arme Sally«, sage ich und fange zu weinen an. »Ich frage mich, warum sie es William nicht einfach erzählt hat, sie hätten es gemeinsam angehen können.«
»Vielleicht hat sie es getan.«
Ich denke an die Gespräche, die wir geführt haben, seinen Gesichtsausdruck, als er »ein paar Therapiestunden« sagte, seine strikte Abwehrhaltung, als ich erwähnte, Madeline könnte professionelle Hilfe benötigen, die beklemmende Kontrolle durch seine Familie. Vielleicht befürchtete sie, ihnen damit einen weiteren Grund zu liefern, sie des Namens Harrington nicht für würdig zu erachten.
»Ich glaube nicht, dass er es weiß. Und das Rezept wurde auf Atkins ausgestellt.« War dies das Geheimnis, das ihr solche Angst machte und das endlich teilen zu können sie so erleichternd fand? Ich hoffe, dass Richard nicht entgangen ist, dass der verpasste Anruf von einer ihm wohlbekannten Nummer kam und er nun ein wenig der Qualen durchmacht, die sie erlitten hat. »Ich werde das schon von Richie erfahren.«
»Du wirst ihn doch nicht etwa anrufen?«
»Ich muss es tun, ich habe keine andere Wahl!«
»Nun mach dich nicht lächerlich. Er könnte gefährlich sein.«
»Nun machst du dich aber lächerlich. Er ist ein Familienvater mittleren Alters, der eine flüchtige Affäre gesucht hat.«
»Lass die Finger davon, Livvy. Du weißt nicht mal mit absoluter Sicherheit, dass er es ist.« Ich verhalte mich still und höre aus seiner Atmung seine Frustration. »Das ist mein Ernst – ich fliege rüber zu dir.«
»Du kannst nicht einfach herfliegen.«
»Dann darfst du es nicht tun. Ich werde das nicht zulassen.«
Seine Stimme klingt belegt, als er das sagt.
»Danke. Es freut mich wirklich, dass du dich sorgst …«
»Ich sorge mich auch«, sagt er mit leiser Stimme. »Ich mache mir Sorgen. Ich finde es schrecklich, wenn du nicht da bist, und das nicht nur, weil du immer kochst oder weil ich ein heimlicher Fan der Carpenters bin, mir das aber nicht eingestehen kann. Mist! Ich glaube, es ist so. Ich mag die Carpenters.«
»Welchen Song magst du am liebsten?«, sage ich und greife nach der Albernheit, der Vertrautheit unseres alltäglichen Umgangs.
» Close to You«, singt er mit trillernder Falsettstimme.
»Das war wirklich sehr schön, James«, sage ich kichernd.
Ich höre etwas in seiner Stimme – etwas, das aus ihm herausbricht, von dem ich nie gerechnet hätte, dass es zurückkommen würde, nicht nach jenem Tag im Pub vor so langer Zeit. Ich höre ihn atmen und nach den richtigen Worten suchen.
»Du hattest übrigens recht, was Charlotte anging. Ich fühlte mich eine Zeitlang beschissen, aber dann war es, als wäre gar nichts gewesen. Als hätte ich das nur einfach für jemand empfinden wollen, und sie war diejenige, die zufällig vorbeikam. Aber es war nicht sie, in die ich mich verlieben wollte.«
»Vermutlich«, sage ich und versuche das Schwanken aus meiner Stimme zu verbannen, »sie ist ein Roboter.« Seit wann spielt die Welt so verrückt mit mir? Ich schaue aus dem Fenster und ringe um Fassung, doch der Anblick der New Yorker Skyline sorgt dafür, dass sich alles noch viel fremdartiger anfühlt.
»Verstehst du, was ich dir zu sagen versuche?«
»Irgendwie«, entgegne ich und drehe an einem der Knöpfe des hässlichen Velourssofas.
»Offenbar liebe ich dich, sage es aber wahrscheinlich nicht oft genug, aber … ich liebe dich, Livvy. Du bist nicht mehr länger mein Kumpel, ich möchte nie wieder, dass du nur mein Kumpel bist.«
»Oh.« Wenn ich doch nur meine Gedanken ordnen könnte, der Schock ist allerdings einfach zu groß. Wäre ich James, würde meine verhaltene Reaktion mich ausbremsen, aber ich bin nicht James – er hat eine Mission und wird sich nicht davon abbringen lassen.
»Ich weiß, du wirst das verrückt finden, aber lass mich ausreden. Ich denke, wir sollten einfach heiraten. Wir kennen einander schon eine Ewigkeit, wir wissen, dass wir einander lieben, wir haben beide diese beschissenen Trennungen erlebt … Warum noch mehr Zeit vergeuden?«
»Ich denke, das könnte der romantischste Heiratsantrag sein, der je aufgezeichnet wurde«, sage ich, doch als ich höre, wie er die Luft anhält, wird mir klar, dass das sein voller Ernst ist.
»Hör zu, Livvy. Ich weiß, es ist ein Schock, und du
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