Seit jenem Tag
und ich liebe dich auch nicht weniger, aber jetzt … es passt einfach nicht mehr. Es ist nicht der richtige Zeitpunkt für uns, für mich jedenfalls nicht. Mein Herz gehört mir nicht mehr, ich kann es nicht verschenken.« Und schluchzend ergänze ich: »Aber ich möchte dich nicht verlieren. Bitte lass mich dich nicht verlieren.«
Und da merke ich plötzlich, dass auch James weint, echte Tränen, die mich endgültig davon überzeugen, dass es hier um mehr geht als um sein Bedürfnis, sich als Gewinner zu fühlen. Warum bin ich so widerspenstig? Bin ich etwa schon genauso wie Sally, nur dass meine Ecken und Kanten stumpf sind?
»Es tut mir so leid«, sage ich und habe vom Weinen Schluckauf.
»Danke, dass du mir die Wahrheit sagst.«
»Ich könnte dich nie anlügen.«
Und nachdem wir noch etwa eine halbe Stunde so zugebracht haben, ohne viel zu reden, legen wir auf und beschließen ein Kapitel unserer Freundschaft, die immer kostbarer für mich sein wird, als sich in Worten ausdrücken lässt.
Nachdem ich das Telefon weggelegt habe, lasse ich den Tränen freien Lauf – zusammengerollt wie ein Fötus weine ich mir auf dieser scheußlichen Couch die Seele aus dem Leib. Und schlafe darüber irgendwann ein, um mitten in der Nacht mit Nackenschmerzen und klammen Kleidern am Leib aufzuwachen. Am liebsten würde ich sofort aufbrechen, aber ich glaube nicht, dass ich hier so einfach ein Taxi bekomme, und weiß auch nicht, wie ich mir eins rufen soll. Das dürfte sich zwar herausfinden lassen, doch ich bin zu erschöpft. Dieser Tag hat mich all meine Kraft gekostet, und sollte noch was übrig sein, brauche ich sie für das, was noch kommt.
Und so schlüpfe ich vorsichtig in Sallys Bett, wobei ich mir der Ironie durchaus bewusst bin. Im übertragenen Sinn habe ich das während der letzten Monate schon so oft getan, und wenn ich darauf zurückblicke, sind die Schuldgefühle fast unerträglich. Die Laken scheinen frisch gewaschen zu sein, doch dem Kissen haftet ein Hauch Chanel N° 19 an. Und plötzlich ist das gar nicht mehr gruselig. Plötzlich empfinde ich es auf surreale Weise tröstlich.
Ich betrachte die halbleere Tablettenflasche, die ich auf dem Nachttisch habe stehenlassen, und schüttele dann eine einsame weiße Tablette in meine rosa Handfläche, wo sie klein und unschuldig liegen bleibt. Ich bin mir ganz sicher, dass Sally nie welche genommen hat, als wir Freundinnen waren: Was hat sie nur dazu gebracht, von ihnen abhängig zu werden?
Mein Schlaf ist unruhig, ich wache immer wieder von Albträumen geplagt auf, die sich jedoch meinem Zugriff entziehen, sobald ich die Augen öffne. Um halb acht Uhr gebe ich die Illusion auf, noch Ruhe zu finden, und möchte jetzt nur noch dieses stinkende Schlupfloch so schnell wie möglich verlassen. Der Himmel ist grau und schwer. Erleichtert mache ich es mir im Taxi bequem und lasse mich zurück nach Manhattan fahren, doch da ich weiß, was ich tun muss, ist die Erleichterung nur von kurzer Dauer.
Ich gehe ungewaschen und ungekämmt an die Rezeption, um meinen Schlüssel zu holen, was mir einen wissenden Blick von dem putzmunteren Mädchen hinter der Theke einbringt.
»Guten Morgen, Miss Berrington, es sind Nachrichten für Sie eingegangen«, sagt sie mit Blick auf ihren Bildschirm. »Eine Mary Reynolds hat heute bereits zweimal angerufen.«
Ich werfe ihr ein müdes Lächeln zu und fahre mit dem Lift nach oben, wo ich mir eine ausgedehnte heiße Dusche gönne. »Ich mache das«, deklamiere ich gegen den Wasserstrahl, ohne genau zu wissen, wem ich dieses Versprechen gebe. Dann schlüpfe ich in ein elegantes schwarzes Kleid, das ich eingepackt habe, um Flynn meine Autorität zu demonstrieren. Ich darf nicht einknicken.
Das Telefon klingelt ein paar Mal, bevor jemand abnimmt.
»Was soll das?«, meldet sich eine tiefe Stimme, die ich sofort als die von Richie erkenne. »Wer ruft mich da an?«
»Es ist Livvy«, sage ich, während ein Zittern durch meinen Körper geht. »Wir sind uns auf der Beerdigung begegnet. William hat Ihnen eine E-Mail geschickt, um mich anzukündigen, weil ich zum Arbeiten hier bin.«
Er versucht, seine Verunsicherung zu kaschieren.
»Sicher, Livvy. Ich weiß. Aber warum rufen Sie mich von Sallys Telefon aus an?«
»Ich bin ihre letzten Monate durchgegangen und habe versucht herauszufinden, was wirklich passiert ist. Ich habe den E-Mail-Verkehr zwischen Ihnen beiden gelesen und weiß alles, Richie, fast alles. Aber ich muss Sie sehen, damit Sie
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