Seit jenem Tag
gewesen wärst, wäre sie mit Sicherheit nicht so kompliziert gewesen.«
Wir beobachten sie, wie sie im Schneidersitz auf dem Boden sitzt, Lineale und Radiergummi vor ihr ausgebreitet wie einen bunten Zaun. Sie sieht so verloren aus, und doch bringe ich es nicht über mich, mich neben sie zu knien und in ihre Taucherglocke einzudringen.
»Ich weiß nicht, vielleicht tauge ich einfach nicht dazu. Als ich letzte Woche versucht habe, Nathaniel auf den Arm zu nehmen, hat er sich um Kopf und Kragen gebrüllt.«
»Das ist einfach das Alter«, beschwichtigt Jules. »Und stell mich jetzt bloß nicht so hin, als wäre ich das Superweib und die Babyflüsterin. Ich bin eine Karrierefrau, die Männern das Wasser abgräbt. Ich besitze ein BlackBerry und habe keine Angst, es zu benutzen, ich bin … Was meinst du, können wir zum Mittagessen Wein trinken, oder ist das unangemessen?«
Als Jules sich einen Platz sucht, um das Baby zu stillen, beobachte ich Madeline, die in jeder kleinen Hand einen Radiergummi hält und diese mustert, als wäre es die schwierigste Entscheidung ihres Lebens, sich für eine zu entscheiden, und mir wird schwer ums Herz. Bevor ich es mir anders überlegen kann, gehe ich rasch zu ihr und knie mich vorsichtig am Rande ihrer Schreibzeugmauer hin.
»Kann ich dir beim Auswählen helfen?«
»Nein danke. Ich habe mich für den Velociraptor entschieden. Die lebten in der Jurazeit, aber dann gab es eine große Explosion, bei der sie alle umkamen.«
Sie klammert sich an das Velociraptor-Lineal, als wollte sie es vor einem unerwartet drohenden Meteoreinschlag bewahren.
»Weißt du was, warum nehmen wir nicht zwei? Vielleicht einen Elefanten oder so, die sind nicht ausgestorben.«
»Nein, die sind im Zoo«, erklärt sie. »Mummy hat sie mir dort gezeigt. Wir sind zu unserem geheimen Ort gegangen, und dann haben wir die Elefanten besucht.«
»Was war denn euer geheimer Ort?«
»Unser geheimer Ort eben!«, erwidert sie. »Er war geheim, also kann ich es dir nicht sagen. Dann wäre er nämlich nicht mehr geheim.«
»War das auch Daddys geheimer Ort?«, frage ich und sehe sie ein wenig zu forschend an. Die Art, wie sie es sagt, deutet darauf hin, dass es ein echtes Geheimnis ist und nicht die Fantasie eines Kindes.
»Nein, Olivia. Das macht doch ein Geheimnis aus. Man erzählt es keinem. Es ist das Geheimnis von Mummy und mir. Du verstehst das nicht, und du kennst meine Mummy nicht. Ich hätte gern den Velociraptor. Danke.«
Madeline rennt ohne einen Blick zurück los und sorgt dafür, dass ich keine weiteren neugierigen Fragen mehr stellen kann. William hat ihr Geld gegeben, das sie ausgeben darf, und sie steht auf Zehenspitzen vor der Verkaufstheke und legt behutsam eine 5-Pfund-Note hin, während ich im Hintergrund verweile und vermeide, mich ihr noch mehr aufzudrängen, als ich das bereits getan habe.
Da wir bis zu Williams Ankunft noch eine halbe Stunde totschlagen müssen und mein Angstpegel neue Höhen erreicht, bin ich unglaublich erleichtert, als ich ein Schild sehe, das auf eine besondere Filmvorführung hinweist. Erleben Sie die Dinosaurier live und in 3-D, steht da. Beobachten Sie sie in ihrer natürlichen Umgebung. Wir nehmen auf den bequemen Sitzen Platz, und ich muss sofort an die Arbeit denken. Ich zerbreche mir den Kopf wegen meiner Präsentation und frage mich, womit ich mehr Pep in das Ganze bringen könnte, als einer dieser verfluchten Stegosaurier in all seiner dreidimensionalen Pracht aus der Dunkelheit herausspringt und mir bedrohlich näher rückt. Von dem Moment an bin ich gefesselt: Diese schwerfälligen, prächtigen Raubtiere umherwandern und durch ihren Lebensraum donnern zu sehen hat nichts mehr gemein mit den trockenen und irrelevanten Informationen, sondern lässt sie tatsächlich lebendig werden. Als die Lichter angehen, wende ich mich Madeline zu.
»Das war großartig«, sage ich, bis mir auffällt, wie traurig und nachdenklich sie dreinblickt.
»Ich möchte jetzt zu meinem Daddy«, erklärt sie. »Ich möchte ihn sehen.«
»Wahrscheinlich wartet er bereits draußen auf uns.«
Sie nickt, ihre Unterlippe bebt.
»Was ist denn, Madeline? Was ist los, mein Schatz?«, frage ich sie und bin ihr von Herzen zugetan.
»Es war, als wären die Dinosaurier lebendig«, antwortet sie.
»War es zu furchterregend?«, erkundigt sich Jules.
»Nein, ich fürchte mich nicht«, sagt sie beherzt. »Ich kriege keine Angst.«
Und da begreife ich, wie ungerecht es ist, dass die
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