Seit jenem Tag
Gegenteil«, wirft er ein. »Wie katastrophal das Leben sein kann, wenn man die falschen Entscheidungen trifft.«
Die Traurigkeit, die nur darauf lauert durchzubrechen, wenn er es zuließe, lässt sich mit Händen greifen. Ich lächele ihn zaghaft an, weil ich plötzlich das unerklärliche überwältigende Verlangen verspüre, ihn zu beschützen – ihn nicht melancholisch werden zu lassen.
»Wie war es heute?«, frage ich mit gesenkter Stimme.
»Es war …« Er sieht mich beinahe hilflos an. »Es musste getan werden«, ergänzt er gefasst.
Er muss sich diese Härte, diesen Mut immer wieder neu erkämpfen, um durchzustehen, was das Leben ihm vor die Füße wirft, aber zu welchem Preis? Müssen wir nicht loslassen, damit wir über etwas hinwegkommen können? Ich erinnere mich daran, dass er mir gesagt hat, er habe niemanden zum Reden. Wird es besser oder schlimmer werden, wenn er wieder in New York ist? Mir kommen Mara und ihr Ehemann mit seinen schwer fassbaren Gefühlen, dessen Name mir entfallen ist, und ihr Versprechen in den Sinn, sie würden sich nach ihrer Rückkehr um die beiden kümmern. Ich kann nur hoffen, dass sie dieser Aufgabe gewachsen sind. Ich brauche einen Moment für mich.
»Entschuldigst du mich bitte? Ich muss nur mal rasch auf die Toilette.«
»Was gibt es denn zum Nachtisch?«, frage ich Madeline, als ich breit lächelnd wieder Platz nehme.
»Jules nimmt Baisers mit Vanillesauce und sagt, ich könne welche davon haben, und ich nehme Schokopudding, obwohl Daddy meint, dass ich ihn vielleicht nicht mag, weil er warm ist, aber wenn nicht, wird er ihn aufessen.«
»Du kannst dir sicher vorstellen, auf welches Urteil ich hoffe«, sagt er und sieht sie liebevoll an. »Was ist mit dir? Ich überlege, ob ich Jam Roly Poly nehme.«
»Willst du dich, bevor du uns verlässt, noch mit englischer Pampe vollstopfen?«, frage ich. Und die Vorstellung, dass sie wieder weggehen werden, versetzt mir einen Stich, was in Anbetracht der Tatsache, wie kurz ich sie erst kenne, verwunderlich ist. Vermutlich lag es an der merkwürdigen und komplizierten Intimität des Abends, den wir gemeinsam im Berkeley verbrachten. Man scheint zu ihm nicht vordringen zu können, doch die Tatsache, dass er mich ein wenig an sich heranließ, mich erwählte, um mir seine Verletzlichkeit zu zeigen, ist viel kostbarer, als wenn er ein Mensch wäre, der seine Gefühle offen zur Schau trägt.
»Ich komme vielleicht wieder zurück«, meldet Madeline sich zu Wort.
»Du meinst, in den Ferien«, sage ich.
»Nein, um zur Schule zu gehen.«
»Wie, aufs College?«, hakt Jules nach. »Das dauert aber noch, da musst du erst noch wachsen.«
»Nein, zur Schule«, wiederholt Madeline frustriert. »Wie in den Dolly -Büchern.«
»Du meinst, ins Internat«, sage ich und werfe dabei einen Blick auf William. »Das reicht auch noch, wenn du älter bist.«
»Daddy war acht.«
Entsetzt sehe ich William an.
»Aber Daddys Eltern konnten ihn vermutlich mit dem Auto besuchen und brauchten kein Flugzeug dazu.« William wirft mir mit entschlossener Miene einen kurzen Blick zu. Madeline bricht das darauffolgende betretene Schweigen.
»Ich werde Jules jetzt helfen, Nathaniels Windel zu wechseln.«
Als die beiden gegangen sind, schauen William und ich uns an.
»Wie ich sehe, bist du damit nicht einverstanden«, sagt er.
»Du kannst das doch unmöglich für eine gute Idee halten«, entgegne ich. Es geht mich zwar nichts an, das weiß ich, aber in diesem Moment habe ich das Gefühl, es ginge mich sehr wohl was an. Immer wieder erinnert das Leben mich daran, dass ich Sally nie wahrhaftig losgelassen habe – sie würde das doch niemals gewollt haben?
»Sie möchte es«, sagt er in frostigem Ton. »Seit sie begonnen hat, diese Bücher zu lesen, redet sie von nichts anderem.«
Ich stelle sie mir dort vor – diese Reserviertheit wird sich verfestigen und verhärten, bis sie zu ihrer Persönlichkeit wird, ein Panzer so hart und nicht zu knacken wie der einer Schildkröte. Ihre Schönheit und ihre Haltung werden dafür sorgen, dass man sie fürchtet und bewundert, aber werden sie auch echte Liebe zulassen? Natürlich wird William sie lieben, ja sogar bewundern, diese Liebe wird ihn allerdings daran hindern zu erkennen, wie einsam sie da draußen in der Welt ist, mit ihrer so tief vergrabenen Wunde, dass sie keine Verbindung mehr zu anderen Menschen herzustellen vermag.
»Jedes kleine Mädchen liest diese Bücher und denkt, dass es genauso leben
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