Seit jenem Tag
weil ich für sie stark sein und ihr das Gefühl von Sicherheit vermitteln möchte. Madeline richtet mit gefasster Miene ihre großen Augen auf mich.
»Lass uns gehen und die Dinosaurier anschauen«, sagt sie mit hoher Stimme. »Und ich möchte in den Geschenkladen und nachsehen, ob es dort Lineale gibt.«
Zu meiner großen Erleichterung steht Jules bereits vor dem Museum, den schlafenden Nathaniel vor die Brust geschnallt. Auf dem Spaziergang dorthin habe ich mich nach Kräften bemüht, das Gespräch mit Madeline in Gang zu halten. Ich stellte ihr offene Fragen in der Hoffnung, sie könnte dann mehr über Sally erzählen, erkundigte mich nach ihrer Schule, nach Haustieren, sogar nach ihrem Federmäppchen – doch ich entlockte ihr nur kurz angebundene und abweisende Antworten, die mich völlig hilflos machten. Der Berg war einfach zu groß, und es war arrogant von mir zu glauben, ich könnte ihn bezwingen. Ich stelle die beiden einander vor, und Jules hält ihr ihre Hand hin. »Schön, dass ich dich kennenlerne«, sagt sie, als Madeline sie ernst schüttelt. Was für ein genialer Schachzug – sie trägt derartige Formalitäten offenbar in ihrem Erbgut.
»Magst du denn Dinosaurier?«, fragt Madeline sie interessiert.
»Ich bewundere sie«, erwidert Jules entschlossen, und ich lasse mir meine Zweifel nicht anmerken. Ganz beiläufig nimmt Madeline sie an der Hand. »Lass uns zum Tyrannosaurus Rex gehen«, sagt sie und zieht Jules mit sich, als würden sie sich seit einer Ewigkeit kennen: Offenbar verströmt sie eine Art mütterliches Moschus, das auf alle unter einen Meter fünfundzwanzig berauschend wirkt.
»Lass uns auf Olivia warten«, antwortet sie und zuckt entschuldigend mit den Schultern.
»Komm mit, Olivia«, fordert Madeline mich streng auf.
»Ja, wartet auf mich, ich liebe den Tyrannosaurus Rex!«, rufe ich und tripple ihnen durch die große Eingangshalle hinterher.
Wir lassen keinen Winkel des Museums unbesucht und erfahren bis ins kleinste Detail, was die gewaltigen Körper der Dinosaurier jemals von sich gegeben haben. Jules setzt die Ohs und Ahs immer an den richtigen Stellen, während ich mich vergeblich bemühe, eine faszinierte Miene aufzusetzen. Zu meinen fatalen Charakterfehlern gehört der, dass ich etwas entweder absolut liebe (alles, was Kate Bush je produziert hat, Schnauzer) oder hasse (Rote Beete, Justin Bieber). Und außerdem bin ich vielleicht auch ein klein wenig eifersüchtig, dass Jules es ist, der Madeline sich mit solcher Begeisterung zuwendet. Natürlich hat mir das enthusiastische, von William gemalte Bild geschmeichelt – mir gefiel die Symmetrie, die Vorstellung, dass ein Teil von ihr womöglich weiß, dass ich ihrer Mum einmal etwas bedeutet hatte. Und komme mir jetzt wie ein Idiot vor, als wäre ich nur wieder einem Versuch aufgesessen, einen Sinn hinter etwas zu suchen, das sich jeglicher Deutung entzieht. Im Moment perfektioniert Jules ihr Zuhörgesicht, während Madeline uns die tägliche Kost eines Stegosaurus in allen Einzelheiten auflistet.
»Woher weiß man das alles?«, frage ich sie.
»Aus ihren Köteln«, erklärt Madeline mit einem Blick der Verzweiflung angesichts meiner unsäglichen Dummheit. »Ihre Kötel wurden zu … zu Forstilien, und die Wissenschaftler untersuchen diese und wissen es dann.«
Ihr kleiner Versprecher ist süß, ein seltener Moment von Kindlichkeit, der besonders deutlich macht, wie unnatürlich gefasst sie die übrige Zeit ist.
»Fossilien«, sage ich und lächele zu ihr herab.
»Ich weiß, Fossilien«, blafft sie und dreht sich um zu dem Schild vor seinem riesigen Fuß.
Ich wende mich überfordert an Jules, und sie lächelt mir ermutigend zu und tritt geschickt beiseite, um mir Raum zu geben. »Erzähl uns doch mal, wie lange sie gelebt haben«, ermuntere ich sie, als hätte ich gar nicht bemerkt, wie sauer sie ist, aber sie wendet sich mit ihrem ganzen Körper Jules zu und richtet ihre Antwort an sie. Ganz Sallys Tochter, sage ich mir und gestehe mir wieder einmal still meine Niederlage ein. Madelines plötzliche Gereiztheit hält an, bis wir zu den Tyrannosaurus-Rex-Linealen kommen, wo sie stehenbleibt und diese genau unter die Lupe nimmt. Ich packe Jules am Arm, die einen quengelnden Nathaniel beruhigt.
»Ich denke, ich muss ihn mal füttern.«
»Ja, tu das. Aber, Jules, ich weiß wirklich nicht, was ich ohne dich gemacht hätte.«
»Oh, du wärst schon zurechtgekommen«, sagt sie. »Sie spielt uns nur aus. Wenn du allein
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