Seit jenem Tag
aus jedem nur denkbaren Winkel drehen, und die Schauspielerin friert bei jedem Durchgang ein bisschen mehr. Endlich bestimmt die Regisseurin, dass es Zeit ist weiterzumachen.
»Noch einen, Jungs, noch einen«, beharrt Flynn.
»Wir haben sie«, sagt die Regisseurin. »Die ist gut.«
Sein Costar ist bereits in eine Decke gehüllt und steigt dankbar in ein Paar warme Ugg Boots. Flynns Gesicht drückt nun verbissene Entschlossenheit aus.
»Ich kann es besser. Wir können es besser. Da müsst ihr mir vertrauen.«
Die Regisseurin sieht ihn an, und die Spannung zwischen den beiden ist mit Händen zu greifen. Ich spüre, wie mein Magen sich zusammenzieht, obwohl ich damit gar nichts zu tun habe. Schließlich ringt sie sich ein Lächeln ab.
»Noch mal alles zurück für Flynns Nahaufnahme.«
Es dauert noch eine gute Stunde, bis sie fertig sind, schließlich muss Marie-Claires ruiniertes Make-up ausgebessert und die Beleuchtung so ausgerichtet werden, dass sie Flynns aquamarinfarbene Augen am besten zur Geltung bringt. Als sie fertig sind, gibt er mir einen kameradschaftlichen Klaps auf den Arm.
»Lassen Sie mich noch duschen und umziehen, dann machen wir uns an die Arbeit.«
Eine halbe Stunde später klopfe ich vorsichtig an die Tür seines Wohnwagens.
»Kommen Sie rein«, ruft er, und ich öffne schwungvoll die Tür. Er hat ein Hemd angezogen, es aber noch nicht zugeknöpft, sodass die durchtrainierten Bauchmuskeln in all ihrer Perfektion zu sehen sind.
»Soll ich …«
»Nein, nein. Kommen Sie rein und fühlen Sie sich wie zu Hause.«
Ich bin ein wenig enttäuscht: Der Wohnwagen ist zwar groß und verfügt über eine eindrucksvolle Minibar, erinnert allerdings doch ein wenig an die Wohnwagenurlaube in Wales, die wir mit unserem Dad machen mussten.
»Waren Sie beim Friseur?«
»Nicht dass ich wüsste«, antworte ich und berühre verunsichert meinen windzerzausten Bob. »Hm, die sind frisch gewaschen.«
»Freut mich zu hören«, entgegnet Flynn und starrt mich an. »Dass sie gewaschen sind, meine ich.« Ich gebe mir alle Mühe, nicht rot zu werden, und lenke mich ab, indem ich das Skript aus meiner Tasche hole. »Ich habe auch was dabei«, sagt er und greift nach einer Mappe, um seine eigene Version hervorzuziehen. Das vermute ich jedenfalls: Die Kritzelei auf dem Papier sieht aus, als wäre eine Truppe Spinnen mit tintigen Beinen zum Line-Dance angetreten.
»Sie haben hier gute Arbeit geleistet. Ausgezeichnet. Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht, wie wir weiter vorgehen könnten, wenn es hilfreich ist.«
»Natürlich! Deshalb bin ich ja hier – schießen Sie los.«
»Ich möchte mich da mit ganzer Kraft reinhängen, das müssen Sie verstehen«, sagt er ernsthaft. »Und habe mir deshalb überlegt, ob ich nicht da draußen vor der Kamera stehen sollte. Damit meine Fans sehen, dass ich nicht einfach nur ein weiterer Promi bin, der sich einer Sache annimmt, um den eigenen Ruhm zu mehren.«
Mein Herz fällt fünfzig Stockwerke tief in den Keller. Es kann doch nicht sein, dass Mary recht hat und dies nichts weiter als ein Projekt ist, das der eigenen Eitelkeit dient. Aber vermutlich hätte ich die Botschaft lesen können, wenn ich mir die Mühe gemacht hätte, genau hinzusehen.
»Das ist natürlich der Schlüssel zu allem, aber Dreh- und Angelpunkt der Idee ist doch der Blickwinkel des jungen Mädchens, der Kontrast zwischen den beiden Entwicklungen.«
Er lehnt sich in seinen Stuhl zurück und verschränkt die Arme.
»Dann denken Sie also, wenn meine hässliche Visage auftaucht, werden die Leute es plötzlich nicht mehr ernst nehmen?«
Ich lache nervös.
»Natürlich nicht. Ich frage mich nur, ob die Wirkung nicht umfassender wäre, wenn wir ihre Wirklichkeit unverfälscht vorstellen.« Er sieht mich ausdruckslos an, kein Wunder – ich rede daher, als käme ich direkt aus den Abendnachrichten. Was würde Mary tun, was würde Mary tun? Sie würde flirten, und zwar auf ihre ganz besondere patentierte Art, der ich nicht mal ansatzweise nacheifern kann. »Ihr Gesicht wäre immer ein Bonus, aber ich frage mich, ob ihre Stimme im Hintergrund nicht denselben Zweck erfüllen würde.«
»Dann sind wir uns ja einig«, sagt er und zückt einen dicken schwarzen Stift. »Eingangssequenz Flynn in einem Slum, kleine Kinder spielen im Hintergrund.« Sein Blick geht ins Leere. »Ich habe mir überlegt, ob ich nicht auch Regie führen sollte, auf diese Weise ließe sich Geld sparen. Es ist oberstes Gebot, dass das
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