Seitensprung ins Glück
Festung, und das weit überstehende erste Stockwerk quillt über den Rand des Gebäudes wie der Bauch einer Schwangeren. Die dürren, pseudohistorischen Säulen sehen aus, als könnten sie jeden Moment unter dem Gewicht nachgeben. Ein rosaroter Albtraum, ein Haus, wie es nur Long Island hervorbringen kann.
»Das ist es?«, frage ich überflüssigerweise.
»Ge-nau. Bluebell Lane Nummer einundzwanzig.«
»Sieht aus, als müsste jeder, der über einundzwanzig ist, so klug sein, einen großen Bogen darum zu machen.«
»Genau so ist es«, sagt Marcie und belohnt mich mit ihrem wundervollen Lächeln.
Sie hat in der Tat ein wundervolles Lächeln. Warum also, frage ich mich zum x-ten Mal, schläft sie mit Sean Zambuto? Meine Grübelei wird unterbrochen, als ein schnittiger BMW hinter dem Big Red hält. Ich erschrecke, als ich sehe, dass Linda Beyer aus dem Auto steigt.
»Was macht denn Miltons Mutter hier?«, frage ich.
Marcie grinst durchtrieben. »Keine Sorge. Sie hat Teddy das Haus nicht verkauft, aber sie hat mal für den Makler gearbeitet. Sie kennt jeden. Ich hab sie einfach angerufen und gefragt, ob sie dir einen Gefallen tun kann.«
» Mir? «
»Ja. Sie hat dich wirklich gern. Du bist so gut zu Milton, und du hast ihn letzte Woche sogar mit zu dir nach Hause genommen, als er krank war.«
»Was? Mir einen Gefallen tun?«
»Willst du reingehen?«, fragt Marcie. Sie macht die Tür auf, um auszusteigen und Linda Beyer zu begrüßen. Ich schlage den Kragen meiner Jacke so weit hoch, wie es nur geht, doch mein tiefrotes, verlegenes Gesicht ist unübersehbar.
Linda Beyer winkt mir durchs Fenster zu. Was bleibt mir übrig, als auszusteigen?
»Hallo, Miss Plow«, sagt sie.
Sie trägt von Kopf bis Fuß Burberry und sieht perfekt aus. Ihre tollen Beine schießen aus dem Boden wie anmutige Blumenstängel. Sie schreitet elegant auf Marc-Jacobs-Schuhen einher, Schuhen, deren Spitzen spitzer als Steakmesser sind, Schuhen, die mich gewiss zum Krüppel machen würden, sollte ich je versuchen, meine großen, breiten Füße hineinzuzwängen.
»Das war nicht meine Idee«, sage ich hastig zu Linda und bedenke Marcie mit mörderischen Blicken.
Miltons Mutter drückt mir die Hand. »Das habe ich mir fast gedacht. Aber ist es nicht schön zu wissen, dass Mr Stracuzza und Miss Stockholm so einen grauenvollen Kasten gekauft haben?« Sie wirft einen Blick auf die rosa Geschmacklosigkeit. »Und nicht nur das: Der Keller ist feucht. Dieses Haus wird in null Komma nichts müffeln wie eine alte Kleiderkiste.«
Marcie schnaubt vor Lachen. »Das ist einfach großartig«, sagt sie.
Ich lache nicht mit. Ich stehe erstarrt auf dem Bordstein und versuche, einen Sinn in diesem Ortstermin zu sehen, den Marcie und Linda Beyer für mich eingefädelt haben. Wie viel weiß Linda Beyer? Und warum zum Teufel weiht Marcie sie in meine Angelegenheiten ein? Gehört nicht nur das Büro zu ihrem Einflussbereich, sondern auch alles, was damit in Verbindung steht?
Linda Beyer scheint meine Gedanken zu lesen. Sie klopft mir auf die Schulter und sieht mich an. »Roseanna«, sagt sie mit einer neuen Offenheit in der Stimme, »ich kann nur ahnen, wie schwer das für Sie sein muss. Und es ist nicht gerecht. Sie sind ein guter Mensch.« Sie lächelt, bevor sie ihre Aussage beschließt. »Das Mindeste, das wir tun können, ist, uns dieses Haus anzusehen. Ich glaube, danach fühlen Sie sich besser.«
»Also gehen wir jetzt rein?«, fragt Marcie.
Linda Beyer nickt.
»Oh, prima!« Marcie schlägt die Hände zusammen wie ein Kind in Disneyland. Sie hüpft vor uns über den Garten-weg. Linda geleitet mich über den Plattenbelag. Ich sehe auf den mickrigen Rasen und wünsche meinem Mann und meiner besten Freundin welkes Gras, Ameisen und Fäulnis. Linda steckt den Schlüssel in das Schloss der Eingangstür, dann gehen wir durch Zimmer mit niedrigen Decken und schlechten Tapeten. Fensterflügel aus Aluminium. Fleckige Teppiche in geschmacklosen Farben wie Avocado und Gold. Ich denke an meine Mutter und daran, wie sie all diesen Farbtrends der Sechziger, Siebziger und Achtziger widerstanden hat und stattdessen ihrem Beige treu geblieben ist. Während ich den Kopf in ein gelblich-grünes Bad stecke, kommt mir meine Mutter wie ein Genie vor.
Natürlich werden sie es streichen. Ich sehe Inga in ihren kurzen Shorts und dem knappen Top förmlich vor mir, wie sie sich mit einem Farbroller in der Hand anbetungswürdig reckt.
»Mir reicht’s«, verkünde ich Marcie
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