Seitensprung ins Glück
sagt Mickey Hamilton, steht auf und schlingt die Arme um mich.
»Mein Vater hat Krebs.«
»Das tut mir sehr leid, Rosie.«
»Und gerade haben wir die ›Keine Küsse‹-Vorschrift gebrochen.«
Ich rieche sein Aftershave, als er sich zu mir beugt, um mich erneut zu küssen. Er hat starke Arme, und er ist warm. Nicht eines meiner vielen Kilos in diesem überdimensionalen Regenmantel scheint ihn zu stören.
»Das tut mir nicht im Geringsten leid«, flüstert er liebevoll in mein Haar.
»Wann bist du denn von einem Hund gebissen worden?«, frage ich.
»Das ist eine andere Geschichte«, sagt er. »Diese hier mag ich lieber.«
16
Darf ich vorstellen? Meine Familie!
» Die zehn Gebote war der erste Horrorfilm, den ich je gesehen habe«, erzählt Mickey Hamilton mir, während er auf seiner Seite der großen Matratze liegt, die ich einst mit Teddy geteilt habe. Wir unterhalten uns über unsere Kindheitstraumata. Meines bestand darin, von einem Hund gebissen zu werden. Von einem Boxer, um genau zu sein, im Alter von sieben Jahren.
Ham hatte als Kind einen Boxer namens Duke. Das sei ein lieber Boxer gewesen, erzählt er mir. Sie nannten ihn Dukey. Dukey hatte Zähne wie die Wachsmasken, die wir immer an Halloween trugen, und den muskelbepackten Körper eines Diskuswerfers. Doch er hat nie jemanden gebissen. Nicht wie der Hund im SaveWay, der Mickey ins Bein gebissen hat. Dukey hat einfach nur aufs Haus aufgepasst, wie ein Teddybär mit einer Gruselmaske.
»Ich würde Die zehn Gebote nicht gerade einen Horrorfilm nennen«, sage ich zu meinem neuen Liebhaber und rolle mich auf die Seite, um ihn anzusehen. »Moses ist ja nicht gerade Chucky, die Mörderpuppe.«
Er küsst mich, genau wie er es in den vergangenen zwei Wochen immer wieder getan hat: fest und lang, und gleichzeitig weich und verträumt. Diese Art Ehebruch gefällt mir sehr.
»Meine Mutter hat diesen Film geliebt«, seufzt Mickey. Von Nahem betrachtet ist sein Gesicht nett. In diesen ersten Tagen unserer Beziehung habe ich dem andauernden Drang widerstanden, seinen Koteletten mit dem Rasierapparat zu Leibe zu rücken, während er schlief.
»Sie hat ihn im Laden eines fanatischen Wiedergeborenen gefunden. Damit hat sie meine Kindheit ruiniert.«
»Hast du etwas gegen Religion?« Ich lasse eine Hand über seine Brust gleiten. »Und was, wenn Helen dich mit in die Messe nehmen will?«
Mickey grinst und streichelt mein Gesicht. »Ich sehe deine Mutter nur noch selten im Geschäft. Wie es scheint, siehst du sie auch nicht öfter.«
»Doch, ich sehe sie«, sage ich. »Wir haben meinen Vater eben zu seiner ersten Bestrahlung gebracht.«
»Ja, aber du gehst nicht ans Telefon, wenn sie mit deinem Anrufbeantworter plaudert.«
Ich rücke von ihm ab. »Das Ganze ist komplizierter, als du denkst.«
Mickey lässt das Thema auf sich beruhen. Ich bin froh darüber. »Es ist auch nicht der religiöse Aspekt des Films, der mich stört«, sagt er und kommt damit wieder auf Die zehn Gebote zu sprechen. »Sondern die Szene, wo sie die Arme und Beine eines Mannes an vier Pferden festbinden, die in entgegengesetzte Richtungen gehen sollen. Dann lässt jemand eine Peitsche knallen, und obwohl man nicht sieht, wie der Mann gevierteilt wird, hört man doch diesen ohrenbetäubenden Schrei. Aaaaaagh! « Mickeys Arme rudern über den Betttüchern hin und her, als er es für mich nachspielt.
Ich bin überrascht, wie empfindlich er auf diese Szene reagiert. Wenn ich an die zerlegten und abgepackten Hühnchen denke, an denen ich jeden Tag im SaveWay vorbeikomme, frage ich mich, wie er jemals als Metzger arbeiten konnte.
Ich habe ihm noch nicht gesagt, dass Helen meine Großmutter ist. Mein Gefühl sagt mir, dass das ein schlechter Anfang für eine Beziehung wäre. Es gibt noch viel, das ich nicht über Mickey Hamilton weiß, aber noch mehr, was er nicht über mich weiß. Aber er ist nett und geduldig, und es scheint ihm nichts auszumachen, dass ich wenig mit ihm teile außer Sex. Manchmal, wenn ich in seinen Armen liege, stelle ich mir vor, ich wäre Inga, die eine aufregende außereheliche Affäre mit jemandem hat, jemandem wie … Teddy.
Mickey legt einen starken Arm um mich und zieht mich an sich. Er betrachtet mich aus seinen grauen Augen, die ich früher einmal langweilig fand. Nette Augenbrauen, buschig wie Zeigefinger, ziehen sich vor Konzentration oder vielleicht auch vor Begierde zusammen. Ich komme mir nicht das kleinste bisschen fett vor. Ich beuge mich vor und
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