Seitenwechsel
nötig.« Sehr ermutigend, aber Tina sah es genauso. »In Sachen Hochzeit wäre es zumindest Contra-Pro-Duktiv.«
Familienfotos
Auch wenn die Pro-und-Contra-Liste eindeutig und meine Hochzeit mit Hannes, wenn es nach Özlem und Tina ginge, bereits beschlossene Sache war, musste Hannes noch weiter mit meinen ausweichenden Antworten bei Ja-Nein-Fragen leben. Er erinnerte mich kein einziges Mal daran, dass da noch ein anderes Ja oder Nein im Hintergrund lauerte, sondern vertraute offenbar darauf, dass es mir nicht entfallen war. Aber ich hatte komischerweise das Gefühl, es wäre ungerecht, die Entscheidung ohne Rücksprache mit Tim zu fällen. Es war albern, welche Frau musste schon ihren Exfreund fragen, ob sie den Heiratsantrag ihres neuen Freundes annehmen durfte? Zumal Tim und ich uns seit Kais Geburtstag nicht mehr zum Übereinanderherfallen getroffen hatten, und das, wie ich vermutete, nicht nur, weil wir keinen Zugang mehr zu Tinas Haus hatten. Vielleicht war unsere Nichtaffäre doch versandet, vielleicht hatte Tim sich bereits entschieden und war nicht so rücksichtsvoll wie ich, es vorher mit mir abzusprechen. Vielleicht … vielleicht hatte aber auch dieses winzige irrationale Fleckchen in meinem Hinterkopf recht, das mir sagte, dass Tim und ich noch nicht fertig waren. Miteinander.
Welches vielleicht es auch immer war, es wurde durch einen Anruf von Kais Kindergartenleiterin absolut bedeutungslos. Kai war vom Klettergerüst gefallen und auf dem Weg ins Krankenhaus. Ein Albtraum. Zitternd legte ich den Hörer wieder auf, und meine Augen füllten sich mit Tränen. Interviewtermine, Abgabetermine, die Wochenendausgabe – das alles war mit einem Mal aus meinem Kopf verschwunden. Ich packte noch nicht einmal meine Sachen zusammen, sondern rannte, so wie ich war, zum Parkplatz. Auf der Fahrt schnauzte ich die arme Sekretärin von Tims Schule an, dass es mir völlig egal war, ob Herr Norlinger die 12b, a oder c bei ihrer völlig unwichtigen Abi-Mathe-Klausur beaufsichtigte, sie solle ihn jetzt gefälligst auf der Stelle ausrufen und zum Krankenhaus schicken! Ich stellte den Wagen im Halteverbot ab, rannte in die Notaufnahme und sprach den erstbesten Menschen in Weiß an, wo mein Sohn sei und wie es ihm gehe. Nachdem ich dreimal weiterverwiesen worden war, war ich bereit, das gesamte Krankenhaus zusammenzuschreien, aber da kam eine freundliche Schwester auf mich zu.
»Sind Sie die Mutter von Kai Schneider?«
»Ja, was ist mit ihm?«
»Machen Sie sich keine Sorgen, er wird gerade operiert.«
Die Schwester hatte ja keine Ahnung, dass die Worte operiert und keine Sorgen machen ganz und gar nicht zusammen in einen Satz gehörten. Nicht, wenn es um das eigene Kind ging. Kai wurde operiert?! Und ob ich mir da Sorgen machte. Und das ließ ich die freundliche Schwester auch deutlich spüren. So lange, bis sie mich an einen Arzt weitervermittelte, der mir wenigstens einen Teil der Sorgen nehmen konnte. »Sein Arm ist gebrochen und muss gerichtet werden. Aber sonst hat er Glück gehabt. Nur eine Platzwunde am Kopf, eine leichte Gehirnerschütterung wahrscheinlich und ein paar Prellungen.« Mein Gott, die Liste wurde immer länger, und das nannte er Glück gehabt? Ich folgte ihm mit einem tauben Gefühl im ganzen Körper bis zum Wartebereich vor den OPs und blieb dort geschockt stehen. Die Hektik um mich herum nahm ich nur noch gedämpft wahr. Ich hatte das Gefühl, es dauerte ewig, bis Tim endlich kam. Er nahm mich sofort in den Arm. Minutenlang blieben wir so stehen. Er strich mir tröstend über die Haare, weil ich immer wieder schluchzen musste. Er musste denken, unser Sohn ringe im OP gerade um sein Leben, aber Tim war genauso fertig wie ich, als ich ihm schließlich erzählen konnte, dass Kais schlimmste Verletzung ein gebrochener Arm war.
Kurz darauf kam die Leiterin seines Kindergartens aus dem OP-Bereich zu uns und erklärte uns nicht weniger aufgelöst als wir, dass Kai auf das Dach der Rutsche geklettert war, was er nicht durfte, und das wüsste er auch, aber als sie einen Moment lang nicht geschaut hatte, war er schon oben und dann genauso schnell wieder unten gewesen. Es täte ihr wirklich leid. Das glaubte ich ihr gerne, denn vor lauter Sorge standen ihre sonst so gepflegten Haare in alle Richtungen ab, und sie hatte nervöse rote Flecken im Gesicht. Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, sie trösten zu müssen, und beruhigte sie in demselben Krankenschwesterntonfall, der meine Geduld eben aufs
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