Seitenwechsel
Kater so egal gewesen wie heute. Es war schon halb neun, in einer halben Stunde würde Hannes die morgendliche Sitzung anberaumen, als ich wieder ins Bett kroch und meinen Kopf unter dem Kissen vergrub, um den Lärm der Handwerker auszublenden. Die Sitzung war mir egal, die Arbeit war mir egal, Hannes war mir egal. Alles war mir egal. Und wenn ich es mir hätte aussuchen können, wäre ich für den Rest meines Lebens liegen geblieben. Aber Tina, die ewige Karrierefrau, die es schaffte, trotz drei Komma fünf Promille Alkohol im Blut ihren Laden pünktlich zu öffnen, nötigte mich dazu, mich zumindest krankzumelden.
»Jost«, meldete Hannes sich auch noch persönlich an Stelle seiner Sekretärin und erinnerte mich damit gleich noch an einen weiteren Grund, für immer im Bett zu bleiben.
»Ja, hallo, hier ist Karina«, krächzte ich. »Äh, Schneider, Karina Schneider.«
Stille am anderen Ende der Leitung. Ich sah irritiert auf mein Handy, ob die Verbindung noch stand.
»Guten Morgen, Frau Schneider«, sagte Hannes schließlich. »Wollen Sie mir vielleicht noch mehr mitteilen als Ihren Namen?«
Toll, absolut gelungener Einstieg. Ich räusperte mich und ließ dem Räuspern vorsichtshalber einen kleinen Hustenanfall folgen.
»Äh, ja, ich bin krank.«
»Allerdings, das ist nicht zu überhören.« Irrte ich mich, oder schwang da ein Hauch von Sarkasmus mit?
»Das heißt, ich werde wohl heute nicht zur Arbeit kommen können.«
»Schade!« Na, aus dem Mann sollte man mal schlau werden.
»Ist es sehr schlimm?«
»Ja«, rutschte es mir heraus. »Ich meine, nein, eine Erkältung. Leichte Grippe vielleicht.«
»Damit ist nicht zu spaßen. Dann erholen Sie sich erst mal. Nehmen Sie sich den Rest der Woche frei.«
»Ähm, danke.« Ich wurde das Gefühl nicht los, dass Hannes mich von vorne bis hinten durchschaute. Wieso gab er mir sonst einfach so eine Woche frei? Weil er wusste, dass man für Liebeskummer kein ärztliches Attest bekam?
»Also, gute Besserung, oder was man sonst eben in so einer Situation wünscht.«
Er hatte mich durchschaut. Definitiv.
Ich blieb tatsächlich den ganzen Tag im Bett. Aber gegen Abend fiel mir die Decke auf den Kopf. Ich wollte nicht mehr mit mir allein sein und über Tim nachdenken. Ich wollte mich ablenken, und Alkohol kam dafür nur bedingt in Frage. Auch Tina war an diesem Abend keine große Hilfe, nachdem sie den ganzen Tag völlig verkatert in ihrem Schönheitssalon gestanden hatte. Sie fiel todmüde ins Bett. Ich wanderte etwas planlos durch ihr Haus, und als mein Blick auf die vielen kleinen Baustellen in Küche, Wohnzimmer, Flur und Arbeitszimmer fiel, hatte ich endlich eine Idee, wie ich die Zeit totschlagen konnte. Denn davon hatte ich jetzt ungewollt viel zu viel.
Bis zum nächsten Morgen hatte ich ein komplettes Konzept für Tinas Haus erstellt. Ein kleiner Durchbruch hier, eine neue Wand da, ein paar Deckenverkleidungen und schon würde aus dieser Bruchbude eine halbe Villa. Als ich Tina und Aygün mein Konzept beim Frühstück präsentierte, waren die beiden allerdings nicht so begeistert, wie ich gehofft hatte.
»Schätzchen, weißt du eigentlich, wie viel mich jede Stunde kostet, die ein Handwerker in meinem Haus verbringt?« Das war für Tinas Verhältnisse sogar überraschend diplomatisch ausgedrückt. Auch wenn es übersetzt bedeutete, deine Vorschläge sind unbezahlbar, total verrückt und überhaupt, kümmere dich doch erst mal um deine eigenen Baustellen. Aber ich wusste, dass man bei Tina immer etwas beharrlicher sein musste als bei anderen.
»Wer redet denn hier von Handwerkern? Selber machen!«
»Wie selber machen, wer soll denn das selber machen?«
»Na ich, wer sonst?!«
Tina und Aygün sahen mich gleichermaßen entsetzt an. »Du?«
»Ja, als kleiner Dank dafür, dass ihr mich bei euch aufgenommen habt.«
»Das geht in Ordnung, Schätzchen. Dafür musst du dich gar nicht bedanken, ehrlich nicht.«
»Ach was, das würde mir echt Spaß machen. Ich fahre gleich mal in den Baumarkt.«
»Nein!« Tina sprang entsetzt auf und hätte sich zur Not vermutlich sogar vor mein Auto geworfen. »Musst du nicht eigentlich arbeiten?«
»Ich kann nicht.«
»Ich weiß, dass es schwer ist, sich jetzt auf die Arbeit zu konzentrieren, Süße, aber glaub mir, es ist jetzt wirklich das Beste für dich. Du musst dir nur einen Ruck geben.«
»Ich kann aber nicht, weil mein Chef mir freigegeben hat.«
Tina sah vor ihrem geistigen Auge ihr Haus schon in Trümmern
Weitere Kostenlose Bücher