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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leipert Sabine
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ruhigstellen konnte.
    Tina grinste und sah mich unschuldig an. »Hannes? Wer ist Hannes? Etwa der unglaublich tolle Typ, der zufällig auch dein Chef ist?«
    Wir stießen an. »Auf Hochzeit Nummer zwei.«
    »Ach so, und bevor ich es vergesse«, begann Tina eine ihrer berüchtigten Nebenbemerkungen, die meistens irgendwo einen Haken beinhalteten. »Wir wollen alles genauso machen wie bei der ersten Hochzeit. Du weißt schon, Aberglaube und so, weil es so gut funktioniert hat.«
    »Ja klar, klingt logisch. Ich meine, am einfachsten wäre es natürlich, sich gar nicht erst scheiden zu lassen, aber …«
    »Vergiss es, Schätzchen. Ich sage es ja auch nur, weil Tim dann natürlich der andere Trauzeuge wäre.«
    Ich schluckte. Warum präsentierte sie einem das Kleingedruckte eigentlich immer erst hinterher? Trotzdem rang ich mir ein Lächeln ab. »Tim? Wer ist Tim?«

Die neue Mama
    Tim war der, der es gar nicht erwarten konnte, seine Neue bei sich einziehen zu lassen. Als ich Kai eines Abends nach dem Spielplatz zu ihm zurückbrachte, war sie es, die mir wie selbstverständlich die Tür aufmachte. Tim war nicht da, dafür wirkte Sarah in ihren ausgetretenen Birkenstocks, der Jogginghose und dem alten Sweatshirt von Tim in meiner alten Wohnung mehr als zu Hause. Ihr Auftreten ließ deswegen auch nur einen Schluss zu: Sie wohnte jetzt hier. Diese Erkenntnis traf mich so unvorbereitet, dass ich nicht in der Lage war, klar zu denken. Gerade mal sechs Monate war es her, dass ich die Tür hinter mir zugezogen hatte, und schon hatte Tim sie für Sarah sperrangelweit geöffnet. Ich hatte noch nicht einmal alle meine Sachen abgeholt, mein Arbeitszimmer musste noch genau so aussehen, wie ich es vor einem halben Jahr verlassen hatte. Und im Keller standen immer noch meine alten Möbel. Aber offenbar störten Sarah meine Rückstände in der Wohnung nicht. Im Gegenteil. Für sie war es so selbstverständlich, Kai entgegenzunehmen, dass ich plötzlich das Gefühl hatte, sie wäre seine Mutter und ich nur die Babysitterin. Das ging zu weit. Ich konnte meinen Sohn unmöglich dieser Frau überlassen. Statt ihn bei Sarah abzuliefern, erklärte ich ihr kurzerhand, dass ich Kai versprochen hatte, ihn heute Abend ins Stadion zu einem FC-Spiel mitzunehmen und nur eben Bescheid sagen wollte, dass es später werden würde. Kai schaute mich mit großen Augen an, und ich zerrte ihn schnell wieder mit mir die Treppe herunter, bevor er sich verplappern konnte.
    Im Auto angekommen, atmete ich tief durch. Ich hatte ein Problem. Mehrere genaugenommen. Es gab heute kein Fußballspiel. Und ich fuhr auch nicht ins Stadion. Ich fuhr heute überhaupt nirgendwo mehr hin, außer in die Redaktion, wo ich in einer halben Stunde ein Telefoninterview führen und dieses anschließend in einen Artikel verarbeiten musste, weil er auf Hannes’ ausdrücklichen Wunsch schon morgen und nicht, wie geplant, erst am Wochenende erscheinen sollte. Aber all das war für Kai natürlich schwer nachzuvollziehen, denn das Einzige, was er verstanden hatte, war Stadion und FC. Plötzlich kam ich mir unglaublich mies vor, ihn so zu belügen. Schlimmer noch, es erinnerte mich daran, wie meine Mutter versucht hatte, mich nach ihrer Scheidung von meinem Vater fernzuhalten oder, auch nicht besser, mich durch geschickte Fragen über ihn auszuhorchen, wenn ich ihn gerade besucht hatte. Damals hatte ich mir geschworen, dass ich nie so tief sinken würde. Aber es ging noch tiefer …
    Ich musste wissen, ob Sarah wirklich bei Tim wohnte und wenn ja, seit wann. Kai überlegte und antwortete dann gewissenhaft: »Seit hundert.« Hundert war gerade seine Lieblingszahl.
    »Hundert Tagen?«, versuchte ich dennoch mein Glück. »Also schon ein paar Wochen?«
    »Hundert Jahren!«, verbesserte Kai mich ernst.
    Ich seufzte ergeben. Natürlich hatte Kai keine Vorstellung von Zeit. Wenn er mein Alter schätzen musste, war ich mal zehn, mal über hundert, das hing ganz davon ab, welche Zahl ihm gerade einfiel. »Das ist ganz schön lang«, ging ich auf seine Bemühungen ein, mir erwachsene Antworten zu geben. »Also habt ihr schon ein paar Wochenenden zusammen da gewohnt? Du weißt schon, die Tage, an denen du nicht in den Kindergarten gehst.« Er konnte nicht wissen, dass drei Wochen oder drei Tage einen existentiellen Unterschied machten, wenn es um Tims Neue ging. Aber auch meine umständlichen Erklärungen brachten mir nicht die gewünschten Informationen. Er nickte wieder ernst und sagte dann

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