Seitenwechsel
flirtenden Unterton nicht weiter und begann, mich umzuziehen.
»Deine Hüften sind vollkommen in Ordnung«, stellte er unaufgefordert fest und bemühte sich noch nicht einmal so zu tun, als würde er mir nicht die ganze Zeit auf den Hintern starren. Überhaupt, was hieß hier eigentlich ›in Ordnung‹? ›In Ordnung‹ war wie ›nett‹, wie Hüften, die einfach nur Hüften waren, weder sexy noch dick.
»Das ist auch kontraproduktiv«, erwiderte ich trocken und zog die Jogginghose schnell über die besagte Problemzone. Natürlich fand er meine Hüften jetzt in Ordnung, weil er inzwischen ganz andere Maßstäbe ansetzte. Aber ich verkniff mir den bissigen Kommentar und betrachtete mich stattdessen mit Tim im Spiegel. Endlich mal eine Hose, die einigermaßen locker saß.
»Passt doch gut. Hast du abgenommen?«, fragte er irritiert.
»Ja, ein bisschen.« Mindestens fünf Kilo! Dass ihm das erst jetzt auffiel. Wir konnten uns scheinbar regelmäßig engumschlungen und splitterfasernackt über durchgelegene Matratzen wälzen, ohne dass er meine Figur weiter beachtete. Aber hier vor dem Spiegel, angezogen in einer formlosen Baumwoll-Jogginghose, bemerkte Tim endlich, dass ich längst wieder mein Vor-Kai-Gewicht erreicht hatte und die Speckfalten am Bauch auf ein erträgliches Maß geschrumpft waren.
»Ich werde eben nicht mehr so gut bekocht«, witzelte ich und hoffte, den versteckten Vorwurf damit zu kaschieren. Es stimmte zwar einerseits auch, war aber nicht wirklich für meine Radikalkur in den Monaten nach unserer Trennung verantwortlich, in denen ich kaum einen Bissen herunterbekommen hatte. Ich verdrängte das flaue Gefühl im Magen schnell, das schon bei dem Gedanken daran wieder aufstieg, und wies mit einem sarkastischen Grinsen darauf hin, dass man Gleiches von Tim nicht unbedingt behaupten könnte. Er war zwar immer noch gut durchtrainiert, aber schon bei unserer ersten Umarmung hatte ich die zusätzlichen Pfunde an ihm sofort bemerkt. Tims Hand wanderte schuldbewusst zu seinem Bauch. »Ja, leider. Ich befürchte, wir gehen ein bisschen zu oft essen.«
Dieses Mal ließ sich das flaue Gefühl in meinem Magen nicht so schnell verdrängen. Mit »wir« meinte er natürlich Sarah und sich, und nicht Kai und sich. Und mit »Essen gehen« meinte er mit Sicherheit ein gemütliches, ausgedehntes französisches Gelage mit Vor-, Haupt- und Nachspeise, und nicht die hektische Pizza beim Italiener, zu der Tim und ich uns ab und zu und am Ende auch immer seltener mal in meiner Mittagspause getroffen hatten. Ich nickte stumm und verkniff mir erneut jeglichen bissigen Kommentar zu Sarah und ihren offensichtlichen Essgewohnheiten. Sie liebte Gemütlichkeit, Geselligkeit und gutes Essen. Das waren wohl kaum Charaktereigenschaften, die man jemandem vorwerfen konnte. Stattdessen zog ich schweigend die Jogginghose aus, die Tim mir abnahm.
»Also, die ist es dann?«, fragte er.
»Ja«, erwiderte ich einsilbig und zog meine Jeans wieder an. Unsere Blicke trafen sich kurz im Spiegel, und ich hatte das Gefühl, Tim konnte jeden meiner Gedanken von meinem Hinterkopf ablesen, als ich mich bückte, um meine Schuhe zuzubinden. Wann war ich das letzte Mal mit Tim gemütlich essen gewesen, ohne Termindruck oder Probleme, einen Babysitter für Kai zu finden? Ich konnte mich nicht mehr daran erinnern. Es herrschte eine unangenehme Stille zwischen uns, und ich nahm eilig meine Jacke vom Haken.
»So, ich bezahl dann mal. Danke für deine Hilfe.«
»Klar, kein Problem.« Tim reichte mir die Hose, aber als ich danach griff, hielt er plötzlich meine Hand fest und überrumpelte mich mit einem Kuss. Kein kurzer Abschiedskuss, sondern ein langer, fordernder Kuss, der uns irgendwann den Atem raubte, so dass wir beide alberne schnaufende Geräusche machten. Aber keiner von uns wollte ihn deswegen enden lassen. Ich konnte mich auch nicht mehr daran erinnern, wann Tim und ich uns das letzte Mal so leidenschaftlich geküsst hatten. Einfach nur geküsst. Als wir endlich voneinander abließen, waren unsere Lippen rot und wir japsten nach Luft. Ich wischte mir verlegen kichernd über den Mund. »Ich muss jetzt wirklich los«, flüsterte ich.
Tim nickte lächelnd. »Ich glaube, ich bleibe lieber noch ein bisschen hier drin und kühle mich ab.«
Ich verließ die Kabine und konnte das Grinsen in meinem Gesicht einfach nicht abstellen. Das Schlimme war, dass es anfing, mir zu gefallen.
Ungeküsst
Ich warf einen letzten prüfenden Blick in den
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