Seitenwechsel
durch.
»Tim hat mich … geküsst.« Doch meine geflüsterte Beichte ging in dem schrillen Telefonklingeln unter, das mich zusammenschrecken ließ.
Hannes zuckte entschuldigend mit den Schultern und nahm den Hörer ab. Er hörte nur zu, ohne sich zu melden. »Ja gut, ich komme.«
Dann stand er auf und griff sich sein Jackett. »Der Chef will mich sprechen.«
»Oha. Will er dich feuern?« Und würde das möglicherweise einen Teil meiner Probleme lösen? Mein Gott, Karina, jetzt sei doch nicht so egoistisch!
»Das, oder er will mir seinen Sessel anbieten«, grinste Hannes und fragte: »Was hat Tim?«
O Gott, hatte Hannes mich eben verstanden oder nicht? Wohl nicht, sonst würde er mich jetzt nicht so anlächeln. Oder er wollte nicht verstehen und gab mir eine zweite Chance. Wie auch immer, jetzt war definitiv der falsche Zeitpunkt für die Wahrheit. Ich konnte ihm schlecht sagen, dass Tim mich geküsst hatte, ganz zu schweigen von den Dingen, die wir in Tinas Dachgeschosszimmer getan hatten, und ihm dann viel Erfolg bei der Besprechung mit dem Chefredakteur wünschen.
»Tim hat mich … unterstützt. Beim Schuhekaufen.« Es war Hannes anzusehen, dass er für diese Art von Information nicht unbedingt sein Rendezvous mit dem Chef verpassen wollte, aber er blieb weiter freundlich, während ich mich am liebsten selbst aus dem Büro hinauskomplimentiert hätte.
»Nett von ihm. Es ist immer gut, jemanden dabei zu haben, der Ahnung von der Materie hat.«
Ich nickte und wäre am liebsten unter Hannes’ Schreibtisch gekrochen.
»War das alles, was du mit mir besprechen wolltest?«, fragte Hannes allmählich doch ungeduldig, weil ich im Moment lediglich ein großes, einsilbiges Hindernis zwischen ihm und möglicherweise dem Chefsessel darstellte. Er hatte es zwar nur im Scherz gesagt, aber es war inzwischen ein offenes Geheimnis, dass er als Nachfolger für den scheidenden Chefredakteur gehandelt wurde und deswegen auch in erster Linie nach Köln gekommen war. Der Wechsel an der Spitze rückte immer näher, und seinen Chef ließ man nun mal nicht warten. Ganz abgesehen davon, dass man ihn auch nicht betrog und dann die wahnwitzige Idee bekam, ihm alles während der Arbeitszeit in der Redaktion zu beichten. Mein Gott, was hatte ich mir nur dabei gedacht?!
»Nein, natürlich nicht.« Endlich erwachte ich aus meiner Starre und überspielte mein in seinen Augen wohl ziemlich unangebrachtes Verhalten schnell mit einem übertriebenen Lachen. »Ich wollte eigentlich nur fragen, ob wir nicht mal wieder zusammen essen gehen sollen? So richtig gemütlich.«
Hannes sah mich überrascht an. »Du willst mir doch keinen Antrag machen, oder?«
Stimmt, das würde vermutlich mein merkwürdiges Verhalten erklären. Aber es wäre doch eine zu große Abweichung von meinem ursprünglichen Vorhaben gewesen, und ich musste es ja nicht gleich übertreiben.
»Quatsch, ich dachte nur, dass wir mal wieder ausgehen könnten.«
»Okay, ich wollte nur sichergehen, dass ich dann das Richtige anhabe. Nur essen, du und ich, dieses Wochenende. Schon im Kalender.«
Er zog sich umständlich das Jackett über, und ich fand es irgendwie süß, ihn auch mal nervös zu sehen.
»Viel Glück.« Ich drückte ihm einen Kuss auf die Wange und verließ eilig sein Büro. Ausgezeichnet. Das nannte ich mal eine erfolgreiche Beichte.
Level zwei
Aus unserem gemütlichen Essen wurde allerdings nichts. Erst musste Hannes kurzfristig absagen, weil ein Termin dazwischengekommen war. Dann fing ich mir eine heftige Erkältung ein, die mich so sehr außer Gefecht setzte, dass ich sogar meine drei Tage mit Kai absagen musste. Ich rief Tim an und bat ihn unter Schniefen und Husten, Kai doch bitte aus dem Kindergarten abzuholen.
Keine halbe Stunde später stand Tim vor meiner Tür. Ich hatte versucht, ihn zu ignorieren, aber sein beharrliches Klingeln hallte so dermaßen schrill in meinem glühenden Kopf nach, dass ich es für das kleinere Übel hielt, mit meinen schmerzenden Gliedern die Treppe hinunterzuwanken, als diesen Ton länger ertragen zu müssen.
Schlapp lehnte ich mich gegen den Türrahmen und blinzelte Tim gegen die Mittagssonne an, die meine Kopfschmerzen schlagartig verdoppelte. »Tim.« Er überhörte meinen gestöhnten Ausruf seines Namens, der im Grunde nur deutlich machen sollte, dass er doch bitte wieder verschwinden möge. So deutlich, wie man das in drei Buchstaben ausdrücken konnte.
»Ist Hannes da?«
Unglaublich, gab er eigentlich nie
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