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Seitenwechsel

Seitenwechsel

Titel: Seitenwechsel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leipert Sabine
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glücklich werden würde. Der große Schwulenanteil führe angeblich dazu, dass nicht genügend Restexemplare für Frauen vorhanden seien. Und sie hätte ja schon immer die Tendenz gehabt, sich in die Falschen zu verlieben.
    Das erklärte zumindest, dachte ich mir meinen Teil, warum sie neuerdings lieber gebrauchte Männer nahm, die vom Hetero-TÜV abgenommen waren. Tina stimmte Sarah dagegen zu, es gäbe so einige Frauen, die in dieser Stadt unglücklich würden, und gab sich damit nicht einmal mehr Mühe, die Vorwürfe an mich noch zu kaschieren. Als wir endlich wieder an meinem Fahrrad ankamen, hatte sie es geschafft. Sarah war eine Frau aus Fleisch und Blut, fröhlich, verliebt, in Familienplanung. Kein Gegner, dem man mit der Faust ins Gesicht schlug. Als sie sich eilig verabschiedete, weil sie ihre Bahn noch erreichen musste, wusste ich nicht, auf wen ich wütender war. Auf Sarah, weil sie mir keine Angriffsfläche mehr gelassen hatte. Oder auf Tina, weil sie seit Neuestem um die Nominierung zum Friedensnobelpreis buhlte. Warum war sie nicht in der Politik? Da hätte sie Kriege verhindern können. Warum war ausgerechnet ich ihr Pilotprojekt?
    Tina verlor kein Wort über das, was sie mir eindrucksvoll demonstriert hatte. Das brauchte sie auch nicht. Verdammt, ja, dann stimmte es eben, ich war böse, Sarah ein Engel, und wenn ich nicht augenblicklich klare Verhältnisse schuf, würde dieser Engel bitter abstürzen. Tina verabschiedete sich mit einem Küsschen auf jeder Wange von mir, als wäre nichts geschehen. Ich ging zu meinem Fahrrad und schloss gerädert mein Bügelschloss auf. So kaputt war ich nach unserer Runde noch nie gewesen.
    »Ach, Karina«, rief Tina mir durch das heruntergekurbelte Fenster zu. »Kann ich bitte meinen Ersatzschlüssel fürs Haus zurückhaben?«
    Ich sah sie entgeistert an. Was sollte das denn jetzt bitte schön? Sie konnte doch unmöglich wissen, dass … Doch, sie konnte. Ich schwang mich aufs Fahrrad und rollte zu ihrem Auto. Dort lehnte ich mich im Sitzen gegen das Dach und beugte mich zu ihr runter.
    »Das ist doch nun wirklich albern, Tina.«
    Aber sie streckte mir auffordernd ihre Hand entgegen.
    »Tss, total lächerlich«, meckerte ich und kramte ärgerlich meinen Schlüsselbund hervor. Ich machte ihren Schlüssel ab und knallte ihn ihr in die Handfläche.
    »Ich meine es ja nur gut mit dir«, sagte sie trocken.
    »Ja, klar.«
    Ich wollte schon losfahren, aber Tina war noch nicht fertig.
    »Hör zu, Karina, ich weiß ja nicht, was da zwischen Tim und dir läuft. Aber ich weiß, dass ihr euch am Ende wieder nur wehtun werdet.«
    Die kleinen Stiche, die ich während der gesamten Runde zu spüren bekommen hatte, versammelten sich zu einem großen, der sich eiskalt in meine Brust bohrte. Ich nickte stumm. Dann stieß ich mich mit der Hand von ihrem Autodach ab und fuhr los.

Ein gutes Spiel
    Jedes Mal, wenn sich nachmittags die Kindergartentür hinter mir und Kai schloss, atmete ich erleichtert auf. Ich konnte das nicht, eine gute Mutter spielen. Ich konnte nicht mit der einen Hand Kais Kopf tätscheln, mit der anderen sein künstlerisches Tageswerk aus dem Fach nehmen und wie zufällig so einstecken, dass jeder die Kritzeleien des offensichtlichen Nachwuchspicassos oder die Tonwürmer des zukünftigen Rodin bewundern konnte, während ich gleichzeitig stolz darüber jammerte, dass ich meinen Sohn jetzt von der musikalischen Früherziehung zum Karate und anschließend noch zum Physikunterricht für Hochbegabte kutschieren musste. Ich hatte schon Schwierigkeiten, einem übermüdeten, quengeligen Vierjährigen die Jacke anzuziehen, konnte ihn nur mit einem Eis dazu überreden, doch mit nach Hause zu kommen, und spürte jedes Mal in meinem Rücken das Kopfschütteln der anderen Eltern.
    Es war mir ein Gräuel, mich mit ausgebildeten Erzieherinnen über mein Kind unterhalten zu müssen. Wenn sie mich fragten, wie ich mir das nächste Kindergartenjahr vorstellte und was ich mir für Kai wünschte, saß ich ihnen mit einem leeren Gesichtsausdruck gegenüber. Ich wusste nicht, was Vierjährige sich wünschten oder wie man sie am besten spielerisch früh fördern konnte. Wie auch, das war immerhin zweiunddreißig Jahre her und meine kindliche Frühförderung, wenn es sie denn gegeben hatte, war ganz offensichtlich spurlos an mir vorübergegangen. Ich mochte keine Elterngespräche im Kindergarten, und ich hatte jetzt schon Bammel vor den Elternsprechstunden in der Schule. Tim hatte keine

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